Dienstag, 27. August 2013

Bananenrepublik



Es war ziemlich genau zehn Jahre her, als die Japaner Pearl Harbor angegriffen hatten. Honolulu war noch nicht das Touristenmoloch, dass es heute ist, und ich war ein junger Student, der dank dem Vermögen seiner Eltern um die Welt reisen konnte. Nachdem ich in Australien, auf den Fidschi-Inseln und an den Stränden Tahitis schon einige Monate meine Zeit mit Nichtstun vertrödelt hatte, querte ich vom Süden her kommend den Äquator mit einem Dreimaster – der zu Forschungszwecken in den südpazifischen Gewässern unterwegs war und O’ahu zu seiner nördlichsten Anlaufstelle zählte – und nahm Kurs auf den Hawaiianischen Archipel.

Als wir mit dem Schiff in der Mamala Bay auf Pearl Harbor zu glitten, wusste ich noch nicht, dass sich hier mein Leben für immer entscheidend verändern würde und ich auf dieser Insel zu meiner Passion finden würde: der Banane.

Es war der Weihnachtstag 1951, als ich in der Nähe des Kapiolani Boulevard in ein kleines Lokal trat und mich an einen von vier kleinen Tischen setzte. Hinter der Theke stand ein untersetzter Mann mit einer beeindruckenden Körperfülle und lächelte mich herzlich an. Kanoa war polynesischer Abstammung und hörte hier sonderbarerweise nur auf den Rufnamen „Mister Smith“. Er war Inhaber, Koch und Kellner in einem und galt weitherum als einer der erfindungsreichsten Köche. Seine Spezialität war die Kombination verschiedenster Zutaten, die man selbst hier auf der Insel für aussergewöhnlich hielt. (Oder wüssten Sie von einem Koch in Europa, der schon in den Fünfzigern Pulpo mit Schweinespeck auf einer Bananenfrittata serviert hätte?) Was Kanoa hier auf den Teller zauberte, war mindestens 30 Jahre seiner Zeit voraus. 

Nachdem ich mich einen Monat lang fast täglich von Mister Smith in seine kulinarische Bananenrepublik verführen liess, hatte ich an Bord einer Boeing 377 Stratocruiser der Pan American World Airways den Entschluss gefasst, mein Leben dem Kochen mit Bananen zu widmen. 

So telegraphierte ich, kaum in Los Angeles gelandet, meinen Eltern in die Schweiz und unterrichtete sie von meinen vielversprechenden Zukunftsplänen mit folgendem Inhalt: „Soeben in Kalifornien gelandet. Gesund. Auch geistig. Niemanden geschwängert und voller Pläne. Studium kann leider nicht fortgesetzt werden. Mutter: Probier mal Zürcher Geschnetzeltes mit Curry und Banane zu kochen.“

Dass die Antwort meines Vaters nicht gerade enthusiastisch ausfallen würde, konnte ich schon vier Stunden später an dem von ihm aufgegebenen Telegramm erkennen: „Bueb, bist du noch bei Trost? Wenn nicht, wird Geldhahn zugedreht.“

Die Antwort meiner Mutter, zwei Tage später und ebenfalls per Telegramm: „Schmeckt tatsächlich. Sogar deinem Vater.“

Mein nächstes Telegramm, jetzt aus Palm Springs: „Der Banane gehört die Zukunft. Auch meine. Mutter: Probier mal Banane mit Käsekruste. Greyerzer, Kokosnussmilch und Paniermehl“

Ein weiteres Telegramm meines Vaters: „Konto gesperrt.“

Ein weiteres Telegramm meiner Mutter: „Konto eröffnet. Banane mit Käsekruste voller Erfolg. Auch bei deiner Grossmutter.“

In den darauf folgenden Jahren reiste ich mit der Unterstützung meiner Mutter um die ganze Welt und sammelte Rezepte mit Bananen. Als ich mein erstes Kochbuch veröffentlichte, machte ein französischer Koch namens Bocuse zum ersten Mal von sich reden, und ein anderer Koch namens Haeberlin hatte sich gerade irgendwo im Elsass den zweiten Michelin-Stern erkocht. Beide bedienten sich meiner Rezepte. Die Bananenrepublik von Kanoa hatte die Welt revolutioniert. Und ich war zu ihrem Botschafter geworden.

PS: SMS meiner Enkelin von gestern Abend aus Fürstenau im Domleschg: „Ciao Grosspapi. Gänseleber-Eis am Stil mit Bananenschaum. Der Caminada ist ein Saucheib. Grüessli Linda.“

Samstag, 24. August 2013

Tango ohne Vorwarnung


„Oh, ich habe mit allen auf der Bühne getanzt. Gene Kelly, Fred Astaire und Ginger Rogers. Donald O’Connor, Debbie Reynolds und Rita Moreno. Verstehst du Schätzchen? Ich habe den ganzen Broadway und Hollywood zum Brodeln gebracht. Und natürlich auch etliche Sternchen aufgehen und so manchen Star fallen sehen. Die Bühne und der Film sind eben nichts für Zartbesaitete, da brauchst du mehr als nur deine beiden Ellbogen... Weisst du, was ich meine? Es braucht Charakter, Willen, Ehrgeiz. Du musst deine Zähne in das Fleisch bohren und deine Krallen nicht nur ausfahren, sondern auch einsetzen können. Sonst endest du gar am Ende noch wie Marilyn Monroe. Oder Lana Turner. Probleme mit Kerlen und dann noch ein Selbstbewusstsein, das tiefer im Keller ist, als all die vergammelten Kartoffeln deiner Urgrossmutter. Hicks...hicks... Tschuldigung... Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei den Kerlen. Wenn du nur wüsstest, wie sie mich alle bewundert haben. Sie lagen mir zu Füssen. Nicht, weil ich etwa die grösste Oberweite oder den tiefsten Ausschnitt präsentieren konnte, sondern weil ich als Tänzerin eine Künstlerin war... Verstehst du? Ich war ein loderndes Feuer auf der Bühne; geschmeidig wie eine Cobra, die jederzeit bereit war, einen Angriff zu wagen und die Blicke auf sich zu ziehen. Oh ja, das kannst du mir glauben. Ich war nicht zu bremsen und warf mein ganzes Können und mein Talent auf die Bühne. Denn ich war für sie geboren und...hicks...ähm...und...hicks..., du weisst schon... Schenkst du mir noch einen ein, Schätzchen? Der ist wirklich nicht von schlechten Eltern, aber ein bisschen mehr Gin darf es ruhig sein, komm, sei so lieb... Jaaa, genau so, danke Süsser... Ach die guten alten Zeiten. Wie sehr ich sie doch vermisse. Die Gentlemen im Smoking, die dich im Studebaker President im Beverly Wilshire abgeholt haben, um dich zum Hummer und Champagner auszuführen – Kaviar und Austern waren ja nie mein Ding, aber den Hummer, den mochte ich schon, du weisst schon. Und die Rosen! Oh mein Gott, diese Rosen... schubkarrenweise wurden sie mir in die Garderobe gebracht, mit Kärtchen in parfümierten Couverts. Ist das nicht ein bisschen schwul? Und ein jeder versprach mir die Sterne vom Him...hicks...el. Dabei wollte ich doch nur tanzen, tanzen, tanzen... Was schaust du denn so? Mein Glas? Was ist damit? Schon wieder leer ist es, das ist damit! Komm mein Lieber, mach mal nicht so ein Gesicht und schenk mir noch einen ein, ja? Schliesslich bin ich ja nicht jedes...hicks...in Zürich. Aber mein Juwelier hat gemeint, in der Kronenhallenbar wäre ich bestens aufgehoben. Also mein Kleiner, hab dich nicht so und schenk mir noch einen ein. Sonst wird Mutti ganz böse. Und wenn ich böse bin, dann...hicks...dann...zieh ich mich aus. Und glaub mir, das ist das Letzte, was du sehen möchtest.“

Mittwoch, 21. August 2013

Cordon bleu, adieu


Das vor drei Wochen zuletzt gesehene Giraffenehepaar Claudia und Peter konnte sich gar nicht dafür erwärmen, dass der umtriebige Walliser Wirt Dölf Kalbermatten den Weltrekord für das längste Cordon bleu der Welt gleich zweimal brechen wollte. Einmal mit Emmentaler und einmal mit Appenzeller.

Sonntag, 18. August 2013

Romy hat am Kaiser einen Schmarrn gefressen



Im Sommer 1965 sehen wir gerade Romy Schneider am Steuer eines roten MGB Roadster auf der Strasse von Kirchberg über Reith in Richtung Kitzbühel fahren. Sie trägt ein ärmelloses hellgrünes Sommerkleid von Givenchy, das in der Sonne wie ein Grasfrosch zu leuchten scheint, und hat ein aus Seide broschiertes lilafarbenes Kopftuch über ihre Haare und um den Hals gebunden. Die Sonnenbrille bedeckt dunkel die Augen und gibt der Schauspielerin ein strenges und sehr selbstsicheres Aussehen, wie wir es noch in den Jahren danach in ihren französischen Filmen sehen werden. Es ist die Abgeklärtheit einer Frau, der man nichts mehr vorzumachen hat, die aber gerade auch an dieser Tatsache etwas zu leiden scheint. Sie ist ein in sich brodelnder Vulkan, ein japanisches Seidenpapier, eine erschreckte Wölfin.

Mit etwas zu hoher Geschwindigkeit steuert sie ihr Auto durch das Tirol, zieht die Kurven enger als nötig und tritt aufs Gaspedal, wenn sich die Strasse vor ihr in die Länge zieht und das Tal sich auftut. So fährt eine junge Frau, die offensichtlich nicht nur Sissi hinter sich gelassen hat, sondern auch Hollywood, von wo sie erst kürzlich wieder nach Europa zurückgekehrt ist, um wieder einmal einen Neuanfang zu machen.

Am Schwarzsee vorbei kurvt Romy Schneider ihren Wagen endlich durch das Städtchen Kitzbühel und hält schliesslich vor dem Hotel ‚Zur Tenne’, das in der Vorderstadt liegt. Sie steigt aus, bleibt kurz stehen, blickt die farbigen Fassaden dieser langen Gasse an und setzt sich dann an einen weiss gedeckten Tisch, der im Schatten eines gelben Sonneschirms steht. Sogleich erscheint ein Kellner in seiner weissen Jacke – man gibt sich hier gerne etwas feiner als man es sonst in dieser Gegend tut – und fragt über den prominenten Besuch erstaunt und etwas gar zu hoffertig, was die gnädige Frau zu bestellen wünscht.

„Bringen Sie mir bitte einen Kaiserschmarrn mit Zwetschkenröster. Aber bitte ohne Rosinen“, lächelt Frau Schneider etwas belustigt den verdutzten Kellner an, „und einen Verlängerten bitte.“

„Sofort, gnä’ Frau. Der Kaiserschmarrn wird aber leider a bisserl dauern, da wir ihn ja früsch zubereiten“, stammelt der Kellner und eilt sofort in das Haus.

Ja ja, sie scheint Sissi tatsächlich hinter sich gelassen zu haben, die Romy. Denn wie eine Legende berichtet, soll der Name Kaiserschmarrn aus dem Grund entstanden sein, weil ein der Kaiserin Elisabeth servierter Schmarrn von ihr nicht gemocht wurde und dieser dann von ihrem Gemahl, dem Kaiser, verärgert, aber wohl nicht ganz ungerne, weggeputzt wurde. So scheint sich also die Romy doch noch an der Sissi zu rächen, wenn auch auf sehr subtile Weise, indem sie den Kaiserschmarrn mit einem Heisshunger verschlingt. Es gibt schlechtere Wege, eine Altlast verschwinden zu lassen.

Mittwoch, 14. August 2013

Die Seele schwarzer Schokolade

Der Schatten zeichnete wilde Pferde auf das noch ungeschnittene Gras, welche sich kaum merklich, aber doch allmählich, zu einer Herde Giraffen verwandelten, je tiefer die Sonne sich dem Horizont zuwandte. Marcel Proust und ich sassen an einem kleinen Tisch unter einer Ulme, die wie eine schützende Gottesmutter, ihre Äste wie Arme über uns ausbreitete und uns den Schatten spendete, den wir schon den ganzen Tag herbeigesehnt hatten. Schweigend blickte Proust mit seinen dunklen und in sich ruhenden Augen in die Ferne, brach ein Stück schwarze Schokolade von einer Tafel, die wiederum auf einem schneeweissen Tellerchen vor uns auf dem Tisch lag, und führte es langsam in seinen Mund. Dort liess er es auf der Zunge zergehen, atmete dabei tief und geniesserisch durch die Nase ein, so dass sein Brustkorb sich etwas anhob und er dabei ein kleines Lächeln zuzulassen schien, welches er aber durchaus nicht mir zu schenken gedachte, sondern vielmehr der Zeit hinterher warf, nach der er so viele Jahre lang gesucht hatte. Ich aber, sass einfach nur da, beobachtete ihn und dachte mir, ob er wohl mit Milchschokolade auf seiner Suche etwas schneller vorangekommen wäre.

Sonntag, 11. August 2013

Nussgipfelsonate


























Gertrude Bitsch sass im Musikzimmer ihres herrschaftlichen Bürgerhauses aus dem 19. Jahrhundert vor dem Klavier (ich wusste gar nicht, dass Steinway auch Klaviere macht) und wippte, mir den Rücken zugewandt, mit beiden Armen im Takt zu Chopins Tritsch Tratsch Polka auf und ab. Mit ihrer Hochsteckfrisur, die schon meine Grossmutter so zu tragen pflegte, sah sie aus wie ein etwas flügellahm gewordener Vogel, dazu gewillt, alles geben zu wollen. Und so trudelten die Klänge wie hüpfende Wandergesellen durch den Raum, um dann durch das Fenster hinaus im sommerlichen Garten das Weite zu suchen; vielleicht, nicht ohne vorher noch etwas von den reifen Kirschen am Baum zu naschen.

Ich sass mit übergeschlagenen Beinen auf einem nicht unbequemen Biedermeiersofa (wo hatte sie dieses wohl so gut auffrischen lassen?) und lauschte mit einem Lächeln der Rührung dem immer noch frischen Spiel dieser Frau mit Jahrgang 1924. Seit zwei Monaten bewohnte ich nun das Haus neben Frau Bitsch und hatte mich endlich dazu durchgerungen, die immer fröhliche Dame (weil ihr Mann vielleicht schon seit über 30 Jahren unter der Erde lag?) zu besuchen. Und obgleich ich solche kleinen Verpflichtungen alles andere als liebe, hat mir Getrude Bitsch (ich bin dann s’Trudi) soeben ein Fenster zu meiner Kindheit geöffnet. 

Eine Kindheit in kurzen schwarzen Manchesterhosen, braun-weiss-gelb-orange-rot gestreiftem kurzärmeligen Pullover und hellbraunen Sandalen, die ich nur mit dunkelblauen Socken tragen durfte (meine Mutter hatte da ihre Prinzipien). Auch damals sass ich bei einer Nachbarin, Frau Professor Stüdeli, und hörte mir an, wie sie mir versuchte – halb Vorspiel, halb Vortrag – Bach näher zu bringen. Und um dieses Vorhaben auch wirklich zum Erfolg zu verhelfen, hatte Frau Professor Stüdeli damals einen ganzen Stapel mit Appenzeller Baumnussgipfeln vor mir auf einem Teller aufgetürmt und mich lächelnd gebeten, mich zu bedienen (was ich auch gerne getan hätte, wenn das Foto mit dem sehr säuerlich dreinblickenden Professor Stüdeli selig nicht unmittelbar neben dem Teller gestanden wäre). Aber damals noch zu sehr darauf erpicht, eine gute Falle zu machen (wenn du dich nicht benimmst, bekommen deine Ohren was anderes zu spüren als Musik), getraute ich mich gar nicht erst zuzugreifen, was dazu führte, dass meine Lust auf diese feinen, schlanken, mit Hefeteig umwickelten und mit Zuckerstaub bedeckten Nussgipfel wohltemperiert den Bach hinunterging.

„So mein Lieber, länger möchte ich sie nun wirklich nicht mit meiner Musik langweilen“, sagte Trudi, noch während der letzte Klang seine Pirouetten durch die Luft machte und sich erst allmählich in nichts auflöste. „Ich hoffe aber, es hat Ihnen doch ein klein wenig gefallen?“

Von dem überraschenden Ende auch wirklich überrascht und in die Gegenwart geholt, stammelte ich Begeisterung spielend ein paar kleine Komplimente und versicherte: „Es hat mir sogar sehr gut gefallen. Ich liebe Klaviermusik. Und dieser Walzer (diese Polka ist ein Walzer nämlich) war allerliebst.“

„Oh, das freut mich“, klatschte Trudi Bitsch in die Hände und fragte sogleich und sehr interessiert: „Welches ist denn Ihr Lieblingskomponist, Christian?“

„Bach!“, schoss es sofort aus meinem Mund, als wären gerade alle Schleusen geöffnet worden, „Bach mag ich sehr gerne. Aber mit Nussgipfel.“ Triumphierend und irgendwie glücklich strahlte ich sie an und sah, dass sie es zu verstehen versuchte.

Bäckerei Café Hecht, Hechtgasse 19, 9427 Wolfhalden

Donnerstag, 8. August 2013

Mein lieber Schwan, dieses Brot!



„Ach, es ist ja eine Zumutung, was man uns heute alles so ins Wasser wirft“, seufzte Schwänin Gotthilde und plusterte dabei ihr Gefieder theatralisch auf, während sich die anderen Schwäne um sie herum gerade auf ein paar Brocken Brot stürzten, die eine ältere Frau in die Limmat geworfen hatte. Schliesslich reichte ihr Stammbaum bis ins 18. Jahrhundert und einer ihrer Vorfahren war schon zu Zeiten Friederich II. in den Brunnen von Sanssouci herumgepaddelt.

„So schlimm ist es doch gar nicht, Schnuckelchen“, erwiderte mampfend Schwan Bruno, der mit Gotthilde in wilder Ehe lebte und in Sachen Stammbaum schon einmal gar nichts vorzuweisen hatte, „diese Stücke sind doch genau so mundgerecht geschnitten, wie du es magst.“

Schwänin Gotthilde schaute ihm mit einem mitleidigen, bekümmerten und dennoch begehrenden Blick dabei zu, wie er die Brotstücke, eins nach dem anderen, schnappte und dann hinunterwürgte, als wäre es das Letzte, was er auf dieser Welt noch zu fressen bekam. „Er ist ja ein wunderbarer Liebhaber und ich mag seine animalische Art wenn es zur Sache geht“, dachte sie im Stillen, „aber beim Fressen wird er zu einem richtigen Bauernschwan, der noch nie zuvor eine Flosse in ein urbanes Gewässer getaucht hat.“ 

Doch Bruno von der unverhofften Mahlzeit begeistert und daher blind für jede Gefühlsregung seiner Partnerin, liess sich den Spass nicht verderben und munterte sie auf: „Mmmhhh, Gotthildchen, Weissbrot, feinstes Weissbrot sag ich dir. Nichts Angebranntes, kein dunkles Krüstchen, sondern nur feines, helles Brot. Mmmpf, mmmpf, mmmpf“. 

„Ach Bruno! Es geht ja nicht um helles oder dunkles Brot. Sondern darum, wie heutzutage das Brot grundsätzlich gemacht wird. Das meiste ist doch nur noch Massenware und hat keinen eigenen Geschmack mehr“, ereiferte sich Gotthilde und begann jetzt sehr belehrend zu werden, „dabei wäre es doch so einfach, ein gutes Brot zu machen, das mit einem Vorteig hergestellt wurde und bei dem man noch die Hefe schmeckt und weiss, dass der Teig die Zeit zum Ruhen und Gären auch wirklich hatte. Knusprig, frisch, etwas salzig, nicht zu säuerlich“, schwärmte sie, „stattdessen wirft man uns eine Pampe vor die Schnäbel, die schon beinahe an eine Beleidigung grenzt.“

„Aber Schätzchen“, versuchte Bruno sie zu besänftigen, weil er sah, dass sich die anderen Schwäne darüber ärgerten, dass diese besserwisserische Gans von einem Schwan ihnen das Fressen wieder einmal madig machen wollte, „die Menschen werfen das Brot ja sowieso für uns in den Fluss, wo es dann von Wasser vollgesogen wird. Was spielt es denn da für eine Rolle?“

„Menschenrechte, mein Lieber, Menschenrechte!“, rief Gotthilde jetzt energisch aus, weil sie nicht glauben mochte, dass sie so missverstanden wurde. Und sie fuhr fort: „Anständiges Brot gehört in einem so reichen Land wie der Schweiz einfach zu den grundlegendsten Menschenrechten. Wir sind doch keine Enten!“

Das, so Schwan Bruno, musste er jetzt wohl einfach einmal so stehen lassen.

Sonntag, 4. August 2013

Mit dem Sonnenkönig auf dem roten Sofa


























Ich hatte mich mit Louis XIV. zum Abendessen verabredet und wartete auf dem Boulevard Saint-Germain in einem Café auf ihn. Und obwohl sich sein Todestag bald schon zum dreihundertsten Mal jähren würde, kam er mir bei unserer letzten Begegnung sehr lebendig vor. Irgendwie schaffen es die Reichen und Berühmten dieser Welt eben doch, nicht nur in die Geschichte einzugehen, sondern sie auch zu überleben. Und man muss es zugeben, er hat sich ganz gut gehalten. Tja: L’Oreal. Weil wir es uns wert sind.

Gerade hatte ich mein Glas Sancerre zu Ende genippt, als Louis in seiner ganzen Pracht vor mir stand und mir süffisant lächelnd und mit einem kleinen Anflug royaler Arroganz, die ein Monarch einfach an den Tag zu legen hatte, die Hände entgegen streckte, in der Erwartung, dass ich diese küssen würde. Aber daraus wurde natürlich nichts. „Louis, ich habe dir das letzte Mal schon gesagt, dass man das heute nicht mehr macht.“ Also zog er diese mit dem zu einem kleinen Schnütchen verzogenen Mund wieder zurück und wandte sich um eine Vierteldrehung von mir ab, um mir damit zu bedeuten, dass er jetzt gerne diesen Ort verlassen würde. Ich legte einen Zehn-Euro-Schein auf das kleine Tellerchen und folgte dem Sonnenkönig, der auf seinen High Heels davon stolzierte und in seiner Aufmachung aussah, wie eine etwas gar pompös aufgedonnerte Drag Queen. Doch schliesslich befanden wir uns ja in Paris und neben all den Möchtegern-Künstlern, Galeristen, Modeschöpfern, Chansoniers, Parfümeurs und Filmsternchen mochte man da wohl auch noch einen toten Monarchen dulden. Das Fussvolk interessierte uns nicht.

Zwischen den Marktständen der Rue de Seine und der Rue de Buci schritten Louis und ich flott der Rue Saint-André des Arts entgegen, wo wir im ‚Chez Allard’ etwas Kleines essen wollten. Dort angekommen, setzten wir uns nebeneinander auf eine rote Sitzbank, so dass wir den kleinen Raum vor uns liegen hatten. Als König war er es natürlich gewohnt, dass sich alle anderen vor ihm und unterhalb von ihm zu bewegen hatten; doch unsere Freundschaft, die jetzt gerade mal zwei Wochen bestand, schien mir die Berechtigung zu geben, mich als gleichwertige Person neben ihn zu setzen. 

„Christian, ich habe schon zu meiner Zeit gesagt, dass man nicht nur mit der Zeit gehen, sondern ihr auch voraus sein sollte“, murmelte er jovial in mein rechtes Ohr, um meine kleine Unverschämtheit zu quittieren, und fügte sogleich hinzu, „du darfst dich also gerne neben mich setzen“. Was will man tun? Man muss eben einen König im Glauben lassen, dass er selbst 298 Jahre nach seinem Tod noch Machtansprüche stellen könnte.

„Und Louis, was willst du heute essen?“, fragte ich ihn, als hätte ich seine kleine Herablassung gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

„Alors, ich denke, man möge mir etwas Foie gras und eine Wachtel servieren. Und wonach steht dir der Sinn, mein Lieber?“

„Ich werde mich für die Nieren entscheiden“, sagte ich ganz beiläufig und freute mich jetzt schon auf dieses fein gebratene Stück Innenlebens eines Kalbes, das hier am Stück serviert wird.

„Mon Dieu, Christian. Was bist du doch für ein Bourgeois!“, rief seine Majestät theatralisch in den Raum.

Und ich mochte ihm da nicht widersprechen. Denn wo er recht hat, hat er recht.


Restaurant Allard, 41 Rue Saint-André des Arts, 75006 Paris