Samstag, 28. September 2013

Auf eine letzte Tasse Tee



„Das Grosse und das Tiefe in der Musik von Richard Strauss liegt nicht in den Tönen, den Takten oder den Tempi. Ja, nicht einmal in den Klängen. Auch was die Interpretation betrifft... ach, die wird ja sowieso überschätzt. Was ist schon eine Interpretation? Was kann eine Interpretation denn schon leisten? Nein, das Grosse an Strauss’ Musik ist das Davor und das Danach. Die Weite jenseits der tatsächlich komponierten Musik. Es ist der nicht hörbare Kontext, der sich als Metakommunikation über das Werk ausbreitet. Das Ahn- und Fühlbare. Das Woher und das Wohin. Glauben Sie mir, hätte ich nur gesungen und interpretiert, dann wäre mein Erfolg vollkommen ausgeblieben. Stimmumfang, Tonfarbe, Phrasierung, Klangtiefe, Reinheit; das alles sind nur Schlagworte für selbstgefällige Kritiker, arrogante Musikwissenschaftler oder devot veranlagte Musikliebhaber im Konzertsaal. Aber das hat mit Singen nur wenig zu tun, das sind allenfalls technische Angaben dazu, was eine Sängerin leisten kann. Doch was eine Sängerin um jeden Preis leisten muss, ist die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Gewollten. Welche Empfindung hat Strauss hier ausdrücken wollen? Welche Erinnerungen mochte er gehabt haben? Wie viel Schmerz musste er für die Komposition erleiden? Was hat es ihn gekostet, solche Musik mit anderen teilen zu müssen? Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Das zu erkennen und fühlen zu können, macht die Musik erst gross. Es ist die simple Voraussetzung, um einem Lied annähernd gerecht zu werden. Es ist auch die Bedingung dafür, Glück und Genugtuung beim Singen erfahren zu können. Noch etwas Tee?“

Clara Imfeld blickte dem Tod geradewegs in die Augen und zeigte ein spöttisches Lächeln. Es war diese Kaltschnäuzigkeit, die sie sich ihr Leben lang angeeignet und verinnerlicht hatte und die sie für sich zu nutzen wusste. Sie hatte sich daraus eine Karriere als Sängerin komponiert und war eine der ganz grossen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts geworden. Was sie dabei für ihre Bewunderer besonders auszuzeichnen schien, war ihre unbeirrbare und intellektuelle Herangehensweise an ein Werk. Sie sang keine Lieder oder Arien, sondern sie lebte Musik. Sie litt Berg, atmete Mozart, betete Bach und starb Wagner. Sie beeindruckte Dirigenten zutiefst, brachte Regisseure zur Verzweiflung und zeigte dem Publikum die kalte Schulter. Sie kreiste an den Konzerten wie ein schwarzer Vogel über den Köpfen der Zuschauer, der Musikerkollegen und der Veranstalter, um dann mit Wutanfällen, Crescendi oder – was wohl das Schlimmste sein mochte – mit Verachtung dem Ausdruck zu verleihen, was sie so einzigartig und eigen machte. Dennoch hatte sie damit Erfolg, wurde gehätschelt und umschwärmt. Man liebte ihre kompromisslose Haltung, ihre Arroganz und ihre Unnahbarkeit, weil man wusste, dass sie all diese schlechten Angewohnheiten und fragwürdigen Charaktereigenschaften nicht ihrer Person, ihrer Reputation oder ihrer Eitelkeiten wegen angenommen hatte, sondern weil es für sie als Künstlerin wohl gar keine andere Wahl gab, als so zu sein. Sie war für ihre Bewunderer ganz einfach ‚La Clara’.

„Ich habe keine Angst, zu gehen, mein lieber Tod. Auch ich halte die Zeit für gekommen. Es wird nicht mehr besser.“ Ein feines Lächeln huschte jetzt über die Lippen der Sängerin und ein zärtlicher Blick flog wie ein Sommervogel flatternd durch den Raum, der bei jedem Flügelschlag eine Erinnerung aus einem reichen Leben wegzuklatschen schien. 

„Wissen Sie, ich habe mir das ganz anders vorgestellt, das Sterben. Nicht etwa dramatisch, oh nein. Das hatte ich ja schon zu Genüge während meiner Arbeit durchleben müssen. Und oft genug auf schmerzhafte Weise mit einer Begleitung, die entweder den Ton nicht getroffen, oder die einfach zu chargiert von der Bühne geplärrt hatte, so dass man dieser Person am liebsten ein grosses Pflaster übers Maul geklebt hätte.“ Angewidert wischte sie diesen Gedanken mit der einen Hand sogleich wieder weg und änderte abermals den Ton.

„Ich habe mir das Sterben erbärmlich vorgestellt. Habe mich als kränkliche Frau gesehen, die man wie einen durchgetretenen Teppich in die Ecke stellt und darauf wartet, bis sie in sich zusammenfällt.“

„Haben Sie lange auf mich gewartet?“, fragte der Tod.

„Nein, ich glaube nicht,“ erwiderte sie, „nicht, dass ich mich erinnern würde.“ Doch kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, stutzte sie und es schien, als würden ihre Gesichtszüge für einen Augenblick den Atem anhalten. Dann sah sie dem Tod unverwandt in die Augen und plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf: „Doch natürlich habe ich Sie erwartet. Hier drinnen,“ sie klopfte mit der Faust fest gegen ihre Brust und fuhr fort, „hier habe ich es gefühlt. Jeden Tag, schon ein paar Wochen. Es wurde immer leichter und leichter und...ich war schon lange bereit.“

„Das ist gut so.“ erwiderte der Tod ihren entschlossenen Blick, wandte dann den Kopf aus dem Fenster und betrachtete zwei grosse Pappeln, die unweit vom Hause standen.

Dienstag, 24. September 2013

Das Linsengericht zu Casablanca



Es war im Jahre 1942, als ich für die amerikanische OSS (Office of Strategic Services) in Marokko stationiert war, und dort sowohl in Tanger wie auch in Casablanca je ein wunderbares Stadthaus bewohnte. Beide Anwesen waren mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, so dass ich mit prunkvollen und verschwenderischen Parties Gäste empfangen konnte, um diese dann nach Strich und Faden auszuspionieren. Offiziell galt ich als junger und reicher Fabrikantensohn aus dem mittleren Westen, dessen Eltern es mit Stahl zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht hatten. In Wirklichkeit aber war ich einfach ein ziemlich mittelloser Kellner gewesen, der sich in Los Angelos durch die Schlafzimmer der reichen Schwulenszene geschlafen hatte.

Als mich in einem ebensolchen Schlafzimmer der stinkreiche Jack McMurphy einmal fragte, ob ich Lust hätte, auf die gleiche Weise in Nordafrika dem Vaterland zu dienen, war nicht nur mein naiver Abenteurersinn geweckt worden, sondern auch die Sehnsucht nach einer anderen Kultur – und nicht zuletzt auch die Aussicht auf eine Gelegenheit, die mir, für damalige Zeiten, ein sehr luxuriöses Leben versprach. So landete ich als Edelstricher an der Meeresenge von Gibraltar und führte ein nicht ungefährliches, aber dennoch angenehmes Leben als schwules Herrensöhnchen, der sich deutschen Offizieren und Agenten anzudienen hatte. 

Da ich jahrelange Erfahrungen als Flittchen hatte, das seine Dienste fast nur in den vornehmsten Villen des Sunset Boulevards anbot, nahm man mir den reichen Lebemann ohne weiteres ab. Denn ich konnte bezirzen, schamlos lügen und hatte eine Moralvorstellung, die so tief unter der Gürtellinie lag, dass man diese von blossem Auge wohl nicht erkennen konnte. Doch neben diesen allzu menschlichen Fähigkeiten hatte ich auch ein wirkliches Talent anzubieten: Ich konnte kochen. Und das sprach sich sehr schnell herum.

Am 5. August 1942 hatte ich einen deutschen Spion mit dem Namen Otto von Pfannkuchen in einer zwielichtigen Bar kennengelernt, der auf unüblich leichte Weise zu verführen war. 

Geheimagenten-Dialog anno 1942:
Otto von Pfannkuchen: „Na mein Hübscher. Wie wär es mit etwas Scharfem?“
Ich: „Gekocht, eingelegt oder flachgelegt?“ 

Kaum zu Hause angekommen, begaben wir uns zuerst in die Pfanne und dann in die Küche, wo ich uns ein kleines Linsengericht zubereitete, nach dessen Genuss Otto von Pfannkuchen mir aller Wahrscheinlichkeit nach alle wichtigen Informationen bereitwillig geben würde. Denn zu den roten Linsen gab ich etwas Stechapfel hinzu, was als Halluziogen eine wirklich hervorragende Wirkung zeitigte – aber bei ungenauer Dosierung ebenso tödlich sein konnte. Dann applizierte ich auf die Linsen einen Löffel Crème fraîche, die hier wirklich nicht leicht zu bekommen war, setzte einen Tupfer Sambal darauf, und krönte das Ganze mit in Knoblauch gebratenen Langustenschwänzen, was insgesamt eine überaus delikate Kombination darstellte.

Nachdem wir beide das Essen genossen hatten – ich meinerseits natürlich ohne die Variante mit dem Stechapfel –, plauderte Otto von Pfannkuchen alle seine Geheimnisse wie ein kleines unschuldiges Kind aus. Seine unerwiderte Liebe zum Führer, seine erotischen Träume über Mussolini, seine privaten Körperertüchtigungen mit ein paar Strebern der Hitlerjugend sowie das Bekenntnis, dass Männer in Kampfstiefeln – eigentlich die ganze deutsche Wehrmacht – ihn beinahe um den Verstand bringen würden. Mit anderen Worten, genau das, was niemanden bei der OSS interessieren würde. In diesem Fall half nur noch eines: mehr Stechapfel.

Mittwoch, 18. September 2013

Zitronenfalter in luftigem Eis



Jakob blickte aus dem Fenster und sah unter sich ein Meer von Wolken, während die Mittagssonne bald ihren Zenit erreichen würde. Vor knapp 2 Stunden war er am Narita International Airport in Tokyo in den Airbus A340-300 der Swiss gestiegen und musste daran denken, was er kurz zuvor in einem National Geographic gelesen hatte.

In einem Artikel über Schmetterlinge erfuhr er, dass Zitronenfalter, als einzige Art in Europa, im Freien überwintern und dabei selbst Temperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius überleben konnten. Eine, aus hauptsächlich Glykol bestehende, Körperflüssigkeit würde es dem Falter ermöglichen, die Körpertemperatur so tief zu senken, dass er in eine Art Ruhestarre fällt. 

Verschneite Zitronenfalter an Zweigen hängend, was für ein Bild, dachte Jakob. Ein gelber Sommervogel unter einer kleinen Schneeschicht, der den Wintermonaten trotzt und dort ausharrt, bis ihm die wärmenden Sonnenstrahlen wieder Leben einhauchen. Doch was Jakob dabei wirklich faszinierte, war die Idee, dieses Bild in eine kleine kulinarische Überraschung zu verwandeln, welche er in seinem Restaurant seinen Gästen servieren lassen konnte. Denn schliesslich war es ja die Inspiration gewesen, die ihn für ein paar Wochen nach Japan reisen liess, um neue Eindrücke und Einfälle für sein Restaurant zu gewinnen. Und den eben erst erhaltenen dritten Michelin-Stern würde er mit all seiner Kreativität, seinem Einfallsreichtum und seinem ganz aussergewöhnlichen Sensorium immer wieder aufs Neue verdienen müssen. So liess er sich im Land der aufgehenden Sonne nicht nur von der Küche, sondern auch von der Kultur, der Lebensweise wie auch der Kunst inspirieren. Und dass ihn genau jetzt dieser Zitronenfalter zu denken gab, schien für ihn kein Zufall zu sein. Er hatte hier seine Sinne für Neues geöffnet, hatte die Augen weit aufgetan und konnte nun sehen, dass scheinbar abstrakte Linien, das Leben genau widerzuspiegeln vermochten, als wäre ein Tuschestrich eine ganze Lebensgeschichte. 

All dies flatterte ihm nun wegen dem Zitronenfalter durch den Kopf. Ein Koch, ein erstklassiger Koch, hatte die Aufgabe, diese Geschenke des Zufalls anzunehmen und in genussvolle Köstlichkeiten zu verwandeln. Und während andere Köche daraus eine extravagante Vorspeise, einen verspielten Hauptgang oder ein aufwändiges Dessert machen mochten, lag seine Stärke darin, das Offensichtliche und Naheliegende zu machen und damit zu überraschen. Es musste zweifelsohne ein Zitroneneis sein. Ein Zitroneneis mit etwas Sauerrahm, einem Schuss Vollrahm, vielleicht auch etwas in Milch aufgeschäumtem Ingwer, Zitronengras – und Safran. Ja, das Eis sollte wie ein Zitronenfalter im Schnee leuchten und so leicht und luftig schmecken, als wäre es ein flüchtiger Gedanke, der trotz allem noch lange in Erinnerung bleiben würde.

Samstag, 14. September 2013

Planetenbäume im Bergell



Alberto lag unter dem Blätterdach einer Edelkastanie und blickte zu den braunen und haarigen Kugeln, welche die Früchte dieses Baumes in sich trugen. Erst vor ein paar Wochen waren er und seine Geschwister noch im Sommerhaus in Maloja am Silsersee gewesen und hatten den flatterhaften Flug von Schmetterlingen und das Schweben der Bienen über Türkenbund beobachtet. Doch jetzt lag er hier und blickte zu den Kastanien hoch, die für ihn aussahen, als wären es kleine Planeten am durch Schatten dunkelgrün gefärbten Himmel.

Kastanien waren nicht nur das Brot der Bäume und Armen, sondern bedeuteten für Alberto auch die Vorfreude auf das feine Marronipüree, das seine Mutter wieder machen würde. Hergestellt mit Milch, Zucker, Kirschwasser und Vanillestengeln aus dem fernen Afrika, welche Freunde des Vaters – allesamt ebenfalls Künstler und Maler – jeweils aus Milano mitzubringen pflegten, um der Familie Giacometti eine Freude zu machen. 

Doch jetzt hatte Alberto nur Augen für diese kleinen stacheligen Planeten und fragte sich, wo im Universum diese wundersamen Sterne wohl wohnen mochten. Und wie würde man sie erreichen können? Die Flugzeuge, die es seit ein paar Jahren gab, wären dafür wohl alles andere als geeignet gewesen. Nein, es müsste etwas Grösseres sein. Etwas, dass so unfassbar und übernatürlich war wie diese Planeten an den Bäumen. Planetenwanderer. Menschen mit langen Beinen und schmalen Körpern, welche diese Sterne einfach vom Himmel pflücken konnten. Menschen, die nicht innehielten und auf der Milchstrasse mit grossen Schritten von Stern zu Stern hüpfen konnten. Und er, Alberto, wollte diese Planetenwanderer schaffen.

Mittwoch, 11. September 2013

Hadrians Wal



Man muss es einfach einmal sagen. Hadrian Schläpfer hatte nicht nur einen grössenwahnsinnigen Vater – wer sonst hätte seinen Sohn nach einem römischen Kaiser benannt –, sondern war wohl selber nie mit Bescheidenheit in Kontakt gekommen. Einerseits, weil er immer die grössten und teuersten Boliden kaufte, mit denen er Cannonball-Rennen durch die Schweiz fuhr – ‚missing balls’ würde dem wahrscheinlich etwas näher kommen – und dann auch noch mit affigen Youtubefilmchen damit im World Wide Web anzugeben pflegte. Andererseits, weil er sich jeweils von seinem Coiffeur Kurt eine Frisur verpassen liess, die wie eine Kopfverletzung in Zeitlupe aussah. (Sie können sich darunter nichts vorstellen? Macht nichts. So wollen sich das gar nicht vorstellen.)

Auf jeden Fall hatte Hadrian letzthin doch tatsächlich behauptet, er hätte im Fählensee einen Schwertwal (Orcinus orca) ausgesetzt, um Wabe-Sushi im grossen Stil zu produzieren. Wabe-Sushi? Genau, das habe ich ihn auch gefragt. Und dann wollte er mir weismachen, dass er den Wal regelmässig mit Quöllfrisch von der Brauerei Locher in Appenzell einreiben lässt, was das Fleisch besonders zartmachen würde. Auf die folgende Frage, ob sich denn das so leicht bewerkstelligen liesse, blieb er mir die Antwort allerdings schuldig. Aber eben, das ist Hadrian.

Sonntag, 8. September 2013

Der süsse Allerwerteste



Louis starrte versonnen an die Decke und betrachtete den goldenen Putenengel, der mit seinen zwei kleinen Kameraden vier Meter über dem Boden schwebte. Seine goldenen prallen Beinchen und Ärmchen sowie seine geblähten Pausbacken glänzten speckig im Licht der Morgensonne, während sein lachender Blick direkt auf seine königliche Majestät herab grinste und diesen offensichtlich amüsiert bei seiner morgendlichen Reitstunde beobachtete. Währenddessen sass Madame de Pompadour auf dem Becken des Königs und bewegte sich, das Glied in sich aufgenommen, wie hoch zu Pferd im Galopp auf und ab und brachte hin und wieder einen hohen Laut der Ekstase hervor. Dass sie diesen Ausritt nicht im ansonsten vom Hof geforderten Damensitz bewerkstelligen konnte, lag hier offensichtlich in der Natur der Sache. (Was hier aber eigentlich nichts zur Sache beizutragen vermag.)

Der Regent von Frankreich und Navarra, ansonsten durchaus für die morgendlichen Turnstunden der Wollust zu begeistern, sah aber weiterhin fasziniert an die Decke und fragte sich, was der Engel wohl gerade denken mochte. Hielt er ihn für einen gerechten König? Für einen grossen Liebhaber? Für einen klugen Herrscher? Oder einfach für den kleinen verwöhnten und pummeligen Dauphin, der er noch war, als sein Onkel an seiner Statt die Regentschaft übernommen hatte?

„Louis! Was ist los? Du bist ja überhaupt nicht bei der Sache“, empörte sich die Pompadour, deren Perücke durch das ständige Auf und Ab leicht verschoben wie der schiefe Turm von Pisa über ihr thronte. 

„Oh, entschuldige ma chère, aber ich war gerade etwas in Gedanken versunken“, flüsterte er sanft in das, sogar unter dem dick aufgetragenen Puder, sichtlich erkennbar gerötete Gesicht seiner Mätresse, deren kleine Nase sich, durch die libidinöse Anstrengung, wie mit den Flügeln eines kleinen Singvogels aufplusterte.

„Hast du Sorgen, mein Liebster?“, erkundigte sich die Pompadour nun leicht erschrocken.

Der König aber lächelte ihr in die Augen und liess dann den Blick zu einem anderen Putenengel an der Decke schweifen, der ihm, den Rücken zugewandt, seinen Allerwertesten präsentierte. „Es ist alles bestens“, sagte er mehr zu sich als zu ihr, während er jetzt den prallen Hintern des goldenen Engels fokussierte „ich habe einfach etwas Hunger.“

„Oh, wenn das so ist, dann sollten wir vielleicht etwas zu essen kommen lassen. Nach was steht dir denn der Sinn?“, fragte die langsam wieder zu Atem kommende Geliebte.

Louis XV. neigte leicht den Kopf, so dass er den Arsch des goldenen Engels nun aus einer anderen Perspektive sehen konnte, und antwortete schliesslich mit einer kleinen Erregung in der Stimme: „Ich glaube ein paar Macarons wären jetzt durchaus angebracht.“

Donnerstag, 5. September 2013

Der Sound, der nach Toskana schmeckt



Landschaften stehen für Erinnerungen, die uns ein ganzes Leben lang begleiten. Und ein Moment kann aus einer Gegend ein faszinierendes biografisches Panorama machen, das wir für immer vor unseren Augen behalten werden, auch wenn wir versuchen, die Dinge mit der Zeit anders zu sehen. Erinnerung ist etwas Sonderbares. Aber sie ist auch etwas Wunderbares. Denn sie lässt uns einen Ort zur Heimat werden.

Als eine erste Liebe und ich vor 25 Jahren mit dem neuen Cabriolet meines Vaters – ein saharabeiger Crysler LeBaron – auf der Landstrasse von Colle di Val d’Elsa nach Monteriggioni fuhren und die Abendsonne noch heiss auf unsere Gesichter brannte, drang aus den Lautsprechern die schleichende Melodie von Miles Davis’ „All Blues“. Wie ein seidener Schleier legten sich die Trompetentöne sanft auf die umliegenden Hügel und malten mit einem weichen Pinsel ein paar Sonnenstrahlen auf die Äcker, die abwechslungsweise mit Mais oder Sonnenblumen bepflanzt waren; oder ganz einfach nur brach lagen. 

Mit diesen Augenblicken und den schwebenden Klängen von Miles Davis prägte sich mein Bild von der Toskana für den Rest meines Lebens in meinem Gedächtnis ein. Eine Fahrt, begleitet von den Farben Gold, Blau, Rostrot, Gelb und Grün in allen Varianten. Eine Fahrt zum „Il Pozzo“ in Monteriggioni, wo wir damals mit den herrlichsten Trüffel-Tortelli belohnt wurden, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Und eine Fahrt, die ich seither unzählige Male und in der gleichen Weise wiederholt habe. Denn Landschaften können zur Heimat werden, auch wenn man dort nie wirklich zu Hause war. Und ihm Gegensatz zu einer ersten Liebe, bleibt uns diese für immer erhalten.

Montag, 2. September 2013

Gian-Peiders Jagdglück



Gian-Peiders Puls pochte wie eine grosse Männerfaust auf seinen Brustkorb, während er seinen Finger immer noch am Abzug hielt. Der Schuss schien noch durch das Tal zu hallen, während das Zwitschern der Vögel auf einen Schlag einer gespenstischen Ruhe gewichen war. Der Wald lag in einem matt blauen Licht vor ihm, und die Bäume standen wie anthrazitfarbene Giacometti-Skulpturen unentschlossen und erschrocken um ihn herum. Er hatte getroffen. Und Casutt, der Sauhund, lag etwa 20 Meter von ihm auf dem Rücken und blickte mit blind offenen Augen in die Baumkronen, die er nicht mehr sehen würde. Nie mehr.

Die Jagd war immer schon Gian-Peiders Leidenschaft gewesen. Jeden Herbst trieb es ihn in die Wälder, auf die Kreten und Berge, zu den einsamen Bergweiden und manchmal sogar ins Unterholz. Und er war ein ausgezeichneter Schütze. So gut, dass ihm genau das jetzt zum Verhängnis werden konnte. Denn, was er als einen üblichen, wenn auch leider tödlichen, Jagdunfall aussehen lassen wollte, präsentierte sich jetzt als kaltblütiger Mord, da der Schuss Casutt mitten an der Stirn getroffen hatte. Und zwar genau in der Mitte. Das Einschussloch war so präzise gesetzt worden, dass ein jedes Kind zum Schluss kommen musste, dass das kein Unfall gewesen sein konnte. Nicht, wenn man Gian-Peider kannte. Sein Jagdehrgeiz und Jägerehre hatte ihm einen Streich gespielt.

Langsam senkte er nun das Jagdgewehr und blickte auf den leblosen Körper. Sofort schossen tausend Gedanken durch seinen Kopf, welche Folgen dieser eine Schuss nun haben würde. In jeder Ecke seiner Hirnwindungen suchte er einen kleinen Notausgang, war sich aber durchaus bewusst, dass er diesen nicht finden würde. Jeder im Tal würde wissen, dass er den Casutt nicht versehentlich erwischt hatte. Und ein jeder würde ihn deshalb bedauern. Denn sie wussten alle, wie sehr Casutt dieses Los verdient hatte. Doch was nützte ihm das jetzt? Das halbe Dorf hatte es gestern erfahren, dass sie heute beide auf die Jagd gehen würden. Oder zumindest der ganze Stammtisch des Crusch Alva, was eigentlich auf dasselbe hinaus lief. Nein, die Angelegenheit sah ganz und gar nicht gut für ihn aus.

Wie lange würde es wohl dauern, bis man Casutt finden würde? Wohl nicht allzu lang. Der Caviezel hatte ja ebenfalls angekündigt, heute oder morgen sein Jagdglück zu versuchen. Stattdessen würde er wohl zu einem Finderlohn kommen. Und natürlich würde man der Polizei auch sofort seinen Namen nennen. Denn in den Verdacht zu geraten, den Tod des Dorfkrösus zu verantworten, wollte niemand auf sich kommen lassen. Nein, man konnte es drehen und wenden, wie man es wollte: es gab keinen Ausweg. Was blieb, waren höchstens noch ein paar Stunden, vielleicht ein oder zwei Tage, Schonfrist. In dieser Zeit würde er seine Angelegenheiten zu Hause regeln müssen. Denn wenn er schon ins Loch musste, dann sollte das wenigstens mit etwas Anstand geschehen und nicht zu einer unaufgeräumten Sache verkommen. Schliesslich war er kein Feigling oder Dummkopf gewesen. Und zu einem solchen wollte er jetzt auch nicht mehr werden, wenn auch gerade dieser Schuss tatsächlich eine grosse Dummheit gewesen war.

Doch plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht und die Augen begannen zu glänzen. Gab es vielleicht doch einen Ausweg? Konnte die Geschichte glaubhaft noch so gedreht und gewendet werden, dass man ihm den Unfall doch glauben wollte? Oder bestand gar die Möglichkeit, dass man Casutt hier nicht vor dem Winter finden würde? War das der Grund dieses Lächelns?

Nein, davonkommen würde er nicht mehr, das wusste er, aber es würde noch einmal für einen Rehrücken in der Krone reichen. Und damit sah das Schicksal für ihn entschieden etwas weniger düster aus.