Sonntag, 30. März 2014

Früher Tod eines Stars



Jean-Philippe Mouche war ein gefürchteter Marmeladenkritiker, der im 18. Arrondissement beim Sacre-Coeur einen einzigartigen Ruf genoss. Er publizierte dabei nicht nur mit sarkastisch scharfen und geistreichen Worten im allseits beliebten Feinschmeckerfliegen-Magazin „Le monde sucré“, sondern konnte mit seinen Riechorganen sogar über ganze Strassenzüge hinweg frisch gemachte Marmelade ausfindig machen, den Reifegrad gekochter Früchte erraten und den Zuckergehalt einer Konfitüre in einem verschlossenen Marmeladenglas blind bestimmen. Es ist wohl nicht übertrieben, zu behaupten, dass Monsieur Mouche der Houdini unter den Marmeladenkritikern war. Ein Zauberkünstler, ein Prophet, ein entfesselter Connaisseur erster Güte.

So verwundert es auch nicht, dass er einst sogar die Früchte einer frisch gekochten Stachelbeeren-Marmelade nach Hang- und Schattenlage zu erraten vermochte, die in einer Seitengasse beim Jardin du Luxembourg gerade auf dem Herd stand. Und das über die halbe Stadt hinweg, über den Louvre und die Seine hinaus. Das muss man sich einmal vorstellen.

Zweifellos hätte der Ruf von Monsieur Mouche noch viel weiter gereicht und ganz anderen Ruhm erlangt, wenn er nicht jäh von einem trotzigen, kleinen fünfjährigen Jungen auf dessen Frühstücksbrot mit Marmelade aus Périgord-Erdbeeren zu Tode geklatscht worden wäre. Aber wie pflegte Jean-Philippe Mouche doch immer zu sagen: „Pas de risk, pas de fönn.“ Und so reiht sich auch dieses Idol in die Reihe derer ein, die mit 27 Tagen viel zu früh gestorben sind.

Sonntag, 23. März 2014

Talente, haltet die Ohren steif!



Was Heidi Klum und Dieter Bohlen in den Niederungen der Populär-Kultur als Förderer von Semi-Talenten seit ein paar Jährchen zu Medienstars gemacht hat, wird hierzulande in aller Stille schon seit mehr als hundert Jahren jedes Frühjahr praktiziert. Denn beim Schokoladenhersteller Ostertag in Hinterhasingen werden jährlich die begabtesten und schönsten Hasen zur Vorstellung (Casting, für alle, die mit der alten deutschen Rechtschreibung nicht mehr so vertraut sind) einbestellt, damit pünktlich zu Ostern alle Kinder dieser Welt einen wunderbaren Schoggi-Osterhasen in einem Versteck ausfindig machen und sich mit einem Leuchten in den Augen darüber freuen können.

Für diese Vorstellung fliegt man als Hase selbstverständlich nicht nach Mallorca, Thailand oder Los Angeles, um dort absurde Prüfungen und desavouierende Bemerkungen über sich ergehen zu lassen. Sondern man hoppelt mit naiver Unbekümmertheit über Wege, Felder, Wiesen und durch Wälder, bis man sich in Hinterhasingen wieder findet und dort von einem dankbaren Chocolatier herzlich willkommen geheissen wird. Man schmeisst sich dann selbstbewusst in Pose...und wenn man Glück hat, dann wird man schon bald in beste Schweizer Schokolade gegossen und auf der ganzen Welt von allen geliebt.

Donnerstag, 20. März 2014

Peter ist kein Weichling

Pulpo Peter konnte gar nicht anders, als sich der herannahenden Korkenwelle zu ergeben. Nicht, dass er deswegen weich geworden wäre. Aber selbst im Angesicht des Todes brachte es Peter als Gentleman nicht übers Herz, all die guten Hausfrauen zu enttäuschen, die an ihre übernatürlichen Korken glauben wollten.

Dienstag, 18. März 2014

Zitroneneis im Himmel



Meine lieben Leser, Elefant à la crème ist heute zu Besuch bei Mary Pickford, der wohl bekanntesten Stummfilmschauspielerin aller Zeiten, Mitbegründerin der United Artists und eines der Gründungsmitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, welche alljährlich den Oscar verleiht und den sie selbst, neben dem Ehrenoscar für ihr Lebenswerk, auch schon einmal 1930 für ihre Rolle in ‚Coquette’ gewonnen hat.

Elefant à la crème (EALC): „Frau Pickford, vielen Dank dafür, dass ich Sie heute auf Ihrer Wolke besuchen darf.“

Mary Pickford (MP): „Aber gerne doch, ich hatte ja noch nie einen Elefanten zu Besuch. Und da mich Charlie gebeten hatte, Sie zu empfangen, bin ich dieser Bitte natürlich gerne nachgekommen.“

EALC: „Ja, Herr Chaplin hat mir kürzlich erzählt, dass er Sie, seit Sie beide gestorben sind, fast wöchentlich sieht. Und dabei hat er mir auch erzählt, dass Sie jedes Mal frisch gemachtes Zitroneneis zu diesen kleinen Wolkenkränzchen mitbringen, das einfach ein Traum wäre. Das hat mich, als Blogger für kulinarische Kurzgeschichten, natürlich ungemein interessiert.“

MP: „Ach der alte Charlie, er ist ja so ein Gentleman und macht immer so ein Aufhebens um mein Zitroneneis. Auch wenn es, wie ich selber sagen muss, doch zu den besten gehört, die man im Himmel bekommen kann. Bei Judy Garland hat es immer zu viel Vodka drin. Und bei den Italienern sind die Zitronen fast immer mit Pestiziden verseucht. Oh und übrigens: ich bin übrigens eine fleissige Leserin Ihres Blogs.“

EALC: „Oh, das freut und ehrt mich natürlich sehr.“

MP: „Ich habe nicht gesagt, dass ich sie alle toll finde.“

EALC: „Nun, das wäre wohl auch etwas zu viel verlangt. Doch lassen Sie uns doch von Ihrem Zitroneneis sprechen...“

MP: „Aber es gibt da ein paar Geschichten, die finde ich sehr rührend.“

EALC: „Ähm, vielen Dank.“

MP: „Und ist die Streep wirklich so gut? 18 Nominierungen! Mein Gott, die muss ja überirdisch sein.“

EALC: „Offen gestanden, ist sie schon eine absolute Ausnahmeerscheinung. Und auch sehr sympathisch. Ich habe sie letztes Jahr mal wegen eines meiner Drehbücher kennengelernt, wie Sie ja gelesen haben werden, und war heilfroh, dass sie Muscheln mochte...aber, das ist eine andere Geschichte. Doch lassen Sie uns auf Ihr fantastisches Zitroneneis zurück kommen.“

MP: „Mein Zitroneneis? Ja, natürlich. Was wollten Sie darüber wissen?“

EALC: „Mich interessiert natürlich vor allen Dingen das Rezept. Aber es nimmt mich auch Wunder, wie Sie im Himmel zu den Zitronen kommen. Ich meine, wenn ich mich hier umschaue, sehe ich lauter Wolken, aber keinen einzigen Zitronenbaum. Oder ein Lebensmittelgeschäft.“

MP: „Ach Sie drolliges Elefäntchen, hahaha, wir sind doch im Himmel. Da ist alles möglich. Ich brauche nur an etwas zu denken und schon habe ich es.“

EALC: „Das ist ja schon fast wie in Hollywood!“

MP: „Nein, das ist viel besser. Hier brauche ich nichts dafür zu bezahlen. Doch kommen wir zum Zitroneneis.“

EALC: „Gerne.“

MP: „Also, wenn die Knef, die Dietrich und die Garbo zum Bridge-Abend erscheinen, dann nehme ich fürs Eis 150 Gramm Zucker, den Saft von 3 Zitronen sowie den Abrieb einer halben unbehandelten Zitronenschale. Dann füge ich 1 bis 2 dl Milch, 2 dl Sahne und noch etwas Sauersahne hinzu. Zum Schluss reibe ich noch einen ganzen Apfel ohne Schale in die Eismasse und stelle dann das ganze für acht Stunden in die Kältewolke. Kurz vor dem Servieren fülle ich die Masse in die Eismaschine und nach etwa 20 Minuten haben wir das leckerste Zitroneneis, das es im Himmel gibt. Und glauben Sie mir, die vier Damen verschlingen das Eis wie hungrige Löwinnen.“

EALC: „Frau Pickford, vielen Dank für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch.“

Samstag, 15. März 2014

Luigi riecht den Braten



Als Luigi in den 60er-Jahren mit seiner Frau Maria nach Zürich kam, war er ein hagerer, schüchterner und auf seine Weise doch sehr mutiger junger Italiener, der, wie viele andere mit ihm, die Familie, die Heimat und die Armut in Apulien hinter sich gelassen hat, um sich und seiner Frau eine Perspektive zu geben. Denn das, was sie hinter sich gelassen hatten, war zwar ein Teil von ihnen gewesen, aber es bot ihnen auf lange Sicht nicht einmal den Funken einer Hoffnung. Und wie es so ist, wenn das Bekannte in seinen Möglichkeiten immer einschränkender und beengender wird, dann verliert das Neue und Unbekannte an Schrecken und macht in kleinen Schritten der Zuversicht Platz. So kam es, dass Luigi zum Zeitpunkt seiner Emigration auch zu einem hoffnungsvollen Immigranten wurde. Einer, der es packen wollte und sich für eine Stelle als Dachdecker in Zurigo bewarb, die er dann auch prompt erhalten hatte.

Heute, mehr als 50 Jahre später – und die Pensionierung schon seit beinahe 10 Jahren hinter sich gebracht – steht Luigi immer noch fast täglich auf den Dächern Zürichs und macht, für das mittlerweile ziemlich gross gewordene Dachdeckergeschäft seines Sohnes Giulio, kleinere Kontrollen und hält nach losen Ziegelsteinen, verstopften Dachkännel und anderen kleinen Unwetterschäden Ausschau. Ein Job, den sein Sohn eigens für ihn geschaffen hatte, um ihn auf seine geliebten Dächer zu bringen und damit nicht nur Luigi, sondern auch seiner Mutter einen Gefallen zu machen, da sie den mittlerweile doch recht fülligen Ehemann nicht zu lange in der Küche oder im Wohnzimmer herumsitzen haben wollte. Aber es war auch ein Job, der keine Anstrengung bedeutete und der als kleine Akquisitionsstrategie doch hin und wieder einen neuen Auftrag zu generieren vermochte. Und schliesslich wusste der Sohn, dass sich sein Vater inzwischen über den Dächern mehr zu Hause fühlte, als in den Gassen und auf den Plätzen. Ja, sogar mehr als in den kleinen Beizen, wo er sich mit anderen alten Italienern traf, sofern sie noch lebten und nicht von einem Altersheim lebendig verschluckt wurden.

Und heute nun steht Luigi an einem herrlichen Frühlingstag wieder auf einem Dach im Dörfli und blickt auf sein Reich. Was für ein Panorama sich da vor ihm offenbart. Die ETH, das Grossmünster, die Dächer des Niederdörfli, das Fraumünster, der grosse St. Peter, die Schipfe, der Hauptbahnhof und das Landesmuseum. Alles liegt vor ihm und wie ein Vogel sitzt Luigi auf dem First eines Hauses, blickt mit liebevollem Blick auf seine Stadt und sieht dabei auch die Jahre, die ihn auf dieser Dächerlandschaft begleitet haben. In solchen Augenblicken wurde ihm bewusst, dass er zwar ein sehr arbeitssames, aber auch ein glückliches Leben geführt hatte. Er hatte seine Chance damals genutzt und mit Freude und Fleiss umzumünzen verstanden. Dabei wusste er nur zu gut, dass ihm nicht nur seine Geschäftstüchtigkeit und seine Bauernschläue eine grosse Hilfe waren. Nein, er hatte auch oft das Glück des Gelingens und so manchen Zufall auf seiner Seite.

Vor allem aber wusste er, dass er zu Hause, im Kreis 5, eine Frau hatte, die zu ihm stand und ihn stets ermutigte, bei seiner Arbeit an sein Glück zu denken. Und die ihm jeden Tag wundervolle italienische Küche zubereitete. Und zwar nicht nur aus Apulien, sondern aus ganz Italien. Denn für Maria war Kochen zur grossen Leidenschaft geworden und sie wurde darin auch zu einer wahren Meisterin. Es war ihre Art gewesen, sich von der Heimat abzunabeln und in ihrem neuen Leben, in einem neuen Land und in einer neuen Sprache mit etwas auseinanderzusetzen, das einerseits mit ihrer Herkunft zu tun hatte, das sich aber auch erweitern liess. Sie wollte sich nicht selbst beschränken und nur apulische Gerichte kochen. So lernte sie zum Beispiel einen Fisch auf jede erdenkliche Weise zuzubereiten, wie man es auf Sizilien, am Golf von Neapel, auf Sardininen, in Genua, im Veneto, in der Emiglia-Romagna oder in Rom machte. Und so wurde es auch bei den Pastagerichten, den Risottos, den Bistecche oder den Dolci gemacht. Für Maria gab es einfach nur die italienische Küche. Und darin wusste sie in jeder Beziehung aufzutrumpfen.

Mit etwas feuchten Augen – war es der Wind oder vielleicht doch dieses Gefühl von Dankbarkeit? – blickte er in Richtung Bahnhof und schloss dann die Augen. Dann nahm er einen tiefen Atemzug und war sich sicher, dass er es riechen konnte. Ja, er konnte den Schmorbraten riechen, den Maria gerade für ihn zubereitete. Dabei hatte sie den Rinderbraten von der Schulter über Nacht in Barolo mit zwei Karotten, zwei Zwiebeln, einem Stangensellerie, einem Lorbeerblatt, fünf Pfefferkörnern und vier Knoblauchzehen eingelegt. Dann hat sie den Braten aus der Marinade genommen, trocken getupft und ihn dann mit Salz, schwarzem Pfeffer, Paprika und etwas Curry gewürzt, um ihn dann auf allen Seiten anzubraten. Als nächstes nahm sie den Braten wieder aus dem Topf und stellte ihn warm, während sie nun die Marinade einkochen liess und sie auf etwa einen Drittel reduzierte. Schliesslich gab sie den Braten in die Reduktion, goss etwas Bouillon und Rahm hinzu und liess den Braten mindestens drei Stunden auf der kleinsten Stufe schmoren. Dann gab Maria ein halbes Kilo frische Morcheln in die Sauce und liess das Ganze noch zwei weitere Stunden schmoren. Ja, genau das konnte er riechen. Auch wenn es unmöglich war. Aber Luigi hatte ja schliesslich 50 Jahre auf den Dächern Zürichs verbracht. Da musste man ihm wohl nicht beibringen wollen, was er zu riechen hatte. Denn dafür, war seine Liebe zu seiner Frau und ihrer Küche viel zu gross.

Mittwoch, 12. März 2014

Cordula hat Lust auf einen kleinen Drachen



Die schroffen Berge von Draculandia präsentierten sich im schönsten Wetter. Tiefschwarze Wolken zogen wie fette Rabenvögel über die Gipfel, Blitze zerschmetterten Felsgestein an den steilen Flanken und eiskalter Regen prasselte übers Land, als würde Tropficus, der Regenhexenmeister, selbst die Hand anlegen.

Cordula, die immer hungrige Hexe, hatte ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht und flog auf ihrem Besen zu ihrem Lieblingsrestaurant, dem ‚Chez Blutrünnstigus’. Während sie in eleganten Flugbewegungen den durch die Luft flitzenden Blitzen behende auswich, steuerte sie zielsicher auf die hervorspringende Klippe, auf der das Gourmetlokal lag. Und weil sie eine Hexe mit Stil war, hatte sie sich natürlich für diesen Besuch herausgeputzt: sie hatte ihre Achseln mit Rattenschmalz eingerieben, ihre Haare mit abgestandenem Brennnesselsud gewaschen und ein paar Tropfen Hundegalle an ihren Handgelenken hingetupft. Denn wenn Cordula essen ging, wollte sie hübsch aussehen, schliesslich wusste man ja nie, ob Kratzfusius, der kleine Stinktroll, zufällig nicht auch gerade ein kleines Hüngerchen verspürte und im ‚Chez Blutrünnstigus’ auftauchen würde. Und da unsere Hexe schon lange ihr noch einziges funktionierendes Auge auf ihn geworfen hatte, wäre dieser Zufall doch ein gar hübscher gewesen.

Als Cordula eine wunderbare albatrossgleiche Landung hingelegt hatte, wobei sie noch etwa siebenmal kopfüber durch schlammigen Morast gepurzelt war, trat sie durch die schwere Eisentüre in den dunkeln und herrlich nach frisch geschlachteten Warzenschwein riechenden Raum und nahm in einer kleinen Nische an einem Tisch Platz. Das Restaurant war ordentlich besucht, und man hörte ein angenehm wohliges Schmatzen und Rülpsen und Furzen, so dass man sich gleich aufs Herzlichste willkommen fühlte. Und kaum abgesessen, kam auch schon ein kleiner Wicht, stellte ein Schälchen gesalzene Hundezähne auf den Tisch und übergab ihr sogleich die Speisekarte.

Da heute Donnerstag war, standen auf dem Tagesmenü verschiedene Zubereitungsarten von Drachen. Und während Cordula gerade einen spitzen und herrlich braunen Hundezahn in den Mund katapultierte, vertiefte sie sich in das wunderbare Angebot.

Beim ‚Draco luciferus’ handelte es sich um einen etwas kleineren Drachen, der, mit Chilischoten, Siebenschläfer, Pestwurz und Krötenlaich gefüllt, am Spiess gebraten und serviert wurde.

Beim ‚Draco rollmopsus’ handelte es sich um einen in der Mitte aufgeschnittenen Flugdrachen, den man mit fauligem Hering, Eselsschwänzen und Tannenschösslingen gefüllt und wieder zusammengerollt hatte, und dessen Flügel frittiert als Cracker dazu gereicht wurden.

Für Liebhaber von Eintöpfen bot sich ‚Draco domestica’ an, bei dem man einen Schlangendrachen mit verschiedenen in Fischöl eingelegten Haustieren – wie Wellensittiche, Katzen, Ratten und Meerschweinchen – einen Monat lang in Zwergenmagensaft marinierte, bevor er dann über dem offenen Feuer geschmort wurde.

Ach, wie lief Cordula doch das Wasser im Mund zusammen. Und ihr wurde mit zunehmender Begeisterung und Gewissheit klar, bei diesem Tagesangebot würde Kratzfusius auch noch auftauchen. Denn wenn es einen wirklichen Feinschmecker gab, dann war das ohne Zweifel er gewesen.

Montag, 10. März 2014

Trudi kommt ins Paradies



Als Trudi noch ein kleines Mädchen war, wusste sie schon, dass sie einmal Köchin werden wollte. Nicht nur, weil sie fürs Leben gerne ass, sondern weil das Essen sie überall begleitete.

Wenn Trudi an der Bäckerei vorbei ging, dann grüssten sie die Brötchen, die Gipfeli und das Konfekt, winkten ihr zu, und wünschten ihr einen schönen Tag. Wenn sie sich auf dem Wochenmarkt mit der Mutter vor dem Gemüsestand von Frau Wick befand, dann begannen die Kohlköpfe, Rüben und Rettiche mit ihr zu sprechen und erzählten ihr, welche Zubereitungsarten ihnen am besten gefallen würden. Und wenn Trudi bei Metzger Mösli vor dem Fleischkorpus stand, begannen sich die Wienerli um die eigene Achse zu drehen und summten dabei einen Walzer von Johann Strauss.

Ja, Trudi war vom Essen besessen. Und überall, wo sie hinschaute, sah sie nicht die gewöhnliche Welt der anderen, sondern ihr persönliches Delikatessenland. Und als sie einmal in der Stadt in einen Fahrstuhl trat, sah sie, dass das hier nicht irgendein Fahrstuhl war, sondern einer, der sie direkt ins Schlaraffenland bringen würde. Was war das doch für ein Glück! Und gerade ihr, die sich das schon immer einmal gewünscht hatte, würde sich gleich die Tür zum Paradies öffnen. Blieb also nur noch zu hoffen, dass sie nicht im Fahrstuhl stecken blieb.

Freitag, 7. März 2014

Herr Huhn mit Sohn im Zoo

„Felix, mein Bübchen, wie du siehst, gehört der Löwe zu unseren natürlichen Feinden, während die Regenwürmer zu unseren natürlichen Freunden zählen. Auch wenn diese das etwas anders sehen.“

Mittwoch, 5. März 2014

Die zwei Enden einer Wurst



Sanft fällt die schwere Haustüre ins Schloss, während das Licht im Flur einen leicht goldenen Schein über das edle Parkett strahlen lässt. Mit federndem Handgelenk und lässiger Nachlässigkeit legt Clemens den Bund mit dem Schlüssel seines Maserati Quattroporte S in die schlichte Schale aus Nussbaum, die neben einer üppigen Vase voller gelber Tulpen auf einem Art Deco Sideboard steht. Anna, seine Frau, die wohl schon oben im Schlafzimmer in ihren Träumen auf Wolken schwebt, hat einen kleinen Zettel hinterlegt, auf dem in schnell hingekritzelter Handschrift die Worte `Überraschung im Kühlschrank’ stehen.

Seit 11 Jahren sind Anna und er jetzt verheiratet, haben beide eine saubere und glatte Karriere als Wirtschaftsanwälte hingelegt und wohnen in einem chicen und sehr geschmackvoll ausgestatteten kleinen Stadthaus aus den 30er-Jahren, das, mit altem Baumbestand und grossem Garten, am noblen Zürichberg liegt und zu den Häusern gehört, in dem man einfach wohnen möchte. Das Äussere des Hauses hat ebenso eine perfekte Fassade wie das Paar, das darin wohnt. Die Stoffe der Anzüge und der Kostüme sind erlesen und perfekt geschnitten. Die Schuhe und High Heels glänzen makellos auf jedem Parkett. Und der strenge Scheitel sowie das wallend lockige Haar werden jederzeit so akurat getragen, als kämen beide immer gerade vom Friseur.

Müde, und von den zwei Flaschen Château Figeac im Restaurant Terrasse etwas matt, schlendert Clemens in die Küche direkt zum Kühlschrank, den man heutzutage Foodcenter nennt, öffnet die Flügeltüren und blickt in die Fächer seiner Sehnsüchte. Und tatsächlich, direkt vor ihm, auf dem mittleren Gestell liegt sie, die Überraschung.

Eins, zwei, drei hat sich Clemens schon ein japanisches Messer der Marke Kai geschnappt und steht nun bei der imposanten Kochinsel, welche natürlich keine Träume offen lässt und die für die Zubereitung aufwendigster Gala-Diners wie geschaffen ist. Vor ihm liegt das Objekt der Begierde, die Überraschung seiner Frau, einer der Gründe, warum sie ihr Glück auch ohne Kinder immer wieder zu finden scheinen: ein vakuumiertes Paar Cervelat. Und zwar nicht irgendwelche, sondern ein Paar aus Appenzell von Breitenmoser.

Wie ein Samurai hat Clemens die Packung behende aufgeschnitten, die Häute der Würste eingeritzt und sie mit ein paar gekonnten Handbewegungen entfernt. Dann, Sekunden später, hört man ein sanftes Knacken und die zwei Hälften der kalten Cervelat liegen in beiden Händen und sind bereit, gierig verschlungen zu werden. Ohne Brot, ohne Senf. Einfach nur den puren Geschmack der Wurst, die ihn in Sekundenschnelle in seine Jugend zurück katapultiert, wo man im Sommer barfuss zur Schule ging und sich ganze Mittwochnachmittage am nahen Bach mit dem Bauen von kleinen Staumauern beschäftigte, bis Hosen und Leibchen nur noch nasse Lumpen waren.

„Es gibt noch Offenbarungen im Leben“, sinniert Clemens vor sich hin und schaut auf die angebissene Wurst, „es gibt noch Gelegenheiten, diesem materialisierten Wahnsinn zu entkommen.“ Dann erscheint ein Lächeln auf dem Gesicht, und ein kleines Strahlen erhellt Clemens rote Augen. „Ich glaube, wir hätten meine Kündigung auch noch mit einer dritten Flasche Figeac feiern können.“

Sonntag, 2. März 2014

Güggelis’ Anatomy



Wir schreiben den 6. Mai 1957 im Anatomie-Saal des Universitätsspitals in Zürich. Die Ränge sind bis zum letzten Platz gefüllt. Nebst den vielen Studenten sind auch andere Professoren in den vorderen Reihen auszumachen.

Es geht ein Raunen durch den Saal und die Spannung in der Luft ist sichtlich greifbar. Denn heute soll hier Geschichte geschrieben werden. Denn nach langen Jahren im Exil ist Prof. Dr. Dr. med. hc. onc. phil. Julius Pankratz von der Harvard Medical School, wo er chirurgische Anatomie unterrichtete und dort mit spektakulären Neuerungen von sich reden machte, ja, wo er sogar als eigentliches Enfant terrible der neueren Medizin galt, nach Zürich zurückgekehrt, um in Kürze seine erste Vorlesung zu geben.

Zweifelsohne wird heute Geschichte geschrieben werden, da der verlorene Sohn sich nach jahrelanger Umwerbung endlich dazu bereit erklärte, sein Tipi in den USA abzubrechen und dafür in ein stattliches Haus an der Krönleinstrasse zu ziehen und an der Zürcher Universität zu unterrichten. Was für ein Tag.

Oh, da öffnet sich die Tür und ein schlacksiger Mittfünfziger mit Glatze und einem wilden Haarkranz tritt in den Saal. Ein rauschender Applaus schwellt wie ein unerwarteter Tsunami an und taucht diesen Kosmos der Medizinischen Fakultät in ein Getöse der Begeisterung. Man möchte sich sichtlich nicht lumpen lassen und spendet jenem Beifall, der gekommen ist, um die wissenschaftliche Schweiz und die medizinische Forschung an die Weltspitze zu katapultieren. Es ist ein ergreifender Moment.

Julius Pankratz aber, solche Zuneigungsbekundungen durchaus gewohnt, tritt an den Anatomietisch und nickt kaum merklich der Menge entgegen und nimmt jetzt aus einem Leinensack, den er mitgebracht hat, einen in Pergament eingewickelten Gegenstand hervor und legt diesen vor sich auf den Tisch. Innert einer Sekunde ist der Applaus verebbt und hat nun absoluter Stille Platz gemacht. Was mag da in diesem Pergament sein? Ein Indianerkopf? Ein Republikanerherz? Einsteins Hirn? Wie aufregend das doch ist.

Mit schnellen und sehr gekonnten Handgriffen – durch und durch ein Starchirurg eben – schält Professor Pankratz das Ding aus dem Pergament heraus und legt es dann vor sich auf den Tisch. Sofort erstarren die Gesichter der Studenten und Kollegen zu Stein. Ist es tatsächlich das, was es zu sein scheint? Ist es ein gegrilltes Güggeli? Ungläubig reiben sich einige Zuschauer die Augen. Aber allein schon der Geruch nach gebratener Güggelihaut, Rosmarin und Knoblauch verscheucht jeden Zweifel innerhalb von Sekunden. Ein Güggeli? Was soll denn das?

Pankratz, von der spürbaren Konsternation, der sich im Raum befindlichen Bewunderer, überhaupt nicht beeindruckt, nimmt ein Skalpell, macht einen sauberen Schnitt zwischen der Brust, entfernt in Windeseile beide Flügeli sowie die Beine vom Torso, kehrt das Güggeli auf den Bauch und macht nochmals einen perfekten Schnitt dem Wirbel entlang, so dass das noch eben ganze gebratene Güggeli nun in sechs Teilen, wie bei einer militärischen Auslegeordnung, vor ihm liegt. Zugegeben, das ging schnell. Dennoch weiss das Publikum noch nichts mit dieser Demonstration anzufangen. Doch dann blickt Julius, Anatomiegenie von Gottes Gnaden, erstmals ins Publikum und kommentiert sein Tun: „Sehen Sie, so mag ich es am liebsten. Ein klarer Plan, ein paar genaue Schnitte und dann den Spass.“