In leichter Panik halten sich die Strumpfbänder an den prallen
Oberschenkeln der Damen fest und beten ein Ave Maria, auf dass sie den Abend
heil überstehen und ihren Trägerinnen jegliche Peinlichkeit für ein paar
Stunden zu ersparen vermögen. Denn ein Strumpfband zu sein, ist nicht die
einfachste Sache der Welt. Auch wenn die Tatsache, dass man dieses Schicksal in
aller Regel paarweise zu teilen pflegt, etwas darüber hinwegzutäuschen
vermöchte. Aber auch geteiltes Leid ist eben halt immer noch Leid. Und gerade
heute wäre ein Versagen fatal, ja, gänzlich unerwünscht. Denn heute, so sagt
man, wird sie kommen. Marie-Antoinette.
Derweil glänzt das Parkett im Schein der tausend Kerzen und
die Musiker bewegen sich mit einer inneren Aufgeregtheit auf den knarrenden
Sesseln hin und her, um in ein paar Augenblicken zu einer luftigen Allemande
aufzuspielen, zu der die Damen und Herren auf High Heels und mit gepuderten
Perücken über den Nussbaumsee gleiten. Auch wir können es kaum erwarten.
Et voilà. Zum Auftakt serviert man uns eine wunderbare,
leicht angebratene Entenleberscheibe, die liebevoll mit einem frischen Brioche,
Tomatenkonfitüre, Nüsslisalat und knusprig gebratener Coppa zu einem kleinen
Turm aufgebaut wurde. Was für eine Ouvertüre.
Während vor dem Fenster das Gelächter der vorbeigehenden
Leute und die Flüche der Kutscher zu hören sind, tippen am Nebentisch ein paar
Japaner virtuos auf ihrem Smartphone herum, machen ein paar Schnappschüsse und
kichern stets mit dem Kopf nickend vor sich hin. Doch meine Begleitung und ich
sitzen gerade etwas mehr als zweihundert Jahre früher daneben und haben ein
zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht.
Als Hauptspeise werden zart-rosa gebratene Lammkoteletten auf
einem Knoblauch-Kartoffelstock mit frischen Erbsen serviert. Ein wunderbar
würziger Kontrast zu der eleganten Vorspeise. Hier liegt die Provence mit ihren
ländlichen Geschmäckern, einem Hauch Rosmarin, einer Prise Fleur de Sel,
unprätentiös vor uns auf dem Teller. Eine Landschaft, die auf der Zunge vergeht
und dabei doch noch etwas von ihrer Wildheit bewahren konnte.
Auf dem Parkett hat sich das Drehen, Wenden, Hopsen und
Hüpfen zu einem trägen Umherschlendern verwandelt. Man betreibt jetzt höfische
Konversation, lächelt hinter fein bemalten Fächern hervor und streicht sich mit
einem parfümierten Tüchlein sehr lasziv über das vom Tanz errötete Dekolleté.
Die Spannung ist durchaus mit den Händen zu greifen. Und dann ist es endlich
soweit. Marie-Antoinette schreitet in den Saal, als würde sie ein Hochzeitskleid
von Vivienne Westwood auf dem Catwalk präsentieren.
Das Dessert, eine „Verrine de Fraise et crème de
Mascarpone avec Spéculos“, ist eine fruchtig-frische Verführung, die ihre
süssen Geheimnisse erst allmählich in unser Ohr flüstert. Eine Anmerkung
zuerst, dann ein Gerücht und schliesslich die absolute, sich offenbarende
Wahrheit. Es ist Marie-Antoinette die zu uns spricht, warm und vertrauensvoll,
entspannt und fröhlich. Denn schliesslich ist die Revolution schon mehr als
zweihundert Jahre Vergangenheit. Was zählt, ist das Jetzt. Und Annie Leibovitz,
die gerade noch die letzten Anweisungen gibt, bevor sie auf den Auslöser drückt
und das Bild unseres Abendessens für die Vogue verewigt.
(Foto: Annie Leibovitz für Vogue) |
Lavault – 24 Rue felibre Gaut – 13100 Aix en Provence |
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