Gian-Peiders Puls pochte wie eine grosse Männerfaust auf seinen Brustkorb, während er seinen Finger immer noch am Abzug hielt. Der Schuss schien noch durch das Tal zu hallen, während das Zwitschern der Vögel auf einen Schlag einer gespenstischen Ruhe gewichen war. Der Wald lag in einem matt blauen Licht vor ihm, und die Bäume standen wie anthrazitfarbene Giacometti-Skulpturen unentschlossen und erschrocken um ihn herum. Er hatte getroffen. Und Casutt, der Sauhund, lag etwa 20 Meter von ihm auf dem Rücken und blickte mit blind offenen Augen in die Baumkronen, die er nicht mehr sehen würde. Nie mehr.
Die Jagd war immer schon Gian-Peiders Leidenschaft gewesen. Jeden Herbst trieb es ihn in die Wälder, auf die Kreten und Berge, zu den einsamen Bergweiden und manchmal sogar ins Unterholz. Und er war ein ausgezeichneter Schütze. So gut, dass ihm genau das jetzt zum Verhängnis werden konnte. Denn, was er als einen üblichen, wenn auch leider tödlichen, Jagdunfall aussehen lassen wollte, präsentierte sich jetzt als kaltblütiger Mord, da der Schuss Casutt mitten an der Stirn getroffen hatte. Und zwar genau in der Mitte. Das Einschussloch war so präzise gesetzt worden, dass ein jedes Kind zum Schluss kommen musste, dass das kein Unfall gewesen sein konnte. Nicht, wenn man Gian-Peider kannte. Sein Jagdehrgeiz und Jägerehre hatte ihm einen Streich gespielt.
Langsam senkte er nun das Jagdgewehr und blickte auf den leblosen Körper. Sofort schossen tausend Gedanken durch seinen Kopf, welche Folgen dieser eine Schuss nun haben würde. In jeder Ecke seiner Hirnwindungen suchte er einen kleinen Notausgang, war sich aber durchaus bewusst, dass er diesen nicht finden würde. Jeder im Tal würde wissen, dass er den Casutt nicht versehentlich erwischt hatte. Und ein jeder würde ihn deshalb bedauern. Denn sie wussten alle, wie sehr Casutt dieses Los verdient hatte. Doch was nützte ihm das jetzt? Das halbe Dorf hatte es gestern erfahren, dass sie heute beide auf die Jagd gehen würden. Oder zumindest der ganze Stammtisch des Crusch Alva, was eigentlich auf dasselbe hinaus lief. Nein, die Angelegenheit sah ganz und gar nicht gut für ihn aus.
Wie lange würde es wohl dauern, bis man Casutt finden würde? Wohl nicht allzu lang. Der Caviezel hatte ja ebenfalls angekündigt, heute oder morgen sein Jagdglück zu versuchen. Stattdessen würde er wohl zu einem Finderlohn kommen. Und natürlich würde man der Polizei auch sofort seinen Namen nennen. Denn in den Verdacht zu geraten, den Tod des Dorfkrösus zu verantworten, wollte niemand auf sich kommen lassen. Nein, man konnte es drehen und wenden, wie man es wollte: es gab keinen Ausweg. Was blieb, waren höchstens noch ein paar Stunden, vielleicht ein oder zwei Tage, Schonfrist. In dieser Zeit würde er seine Angelegenheiten zu Hause regeln müssen. Denn wenn er schon ins Loch musste, dann sollte das wenigstens mit etwas Anstand geschehen und nicht zu einer unaufgeräumten Sache verkommen. Schliesslich war er kein Feigling oder Dummkopf gewesen. Und zu einem solchen wollte er jetzt auch nicht mehr werden, wenn auch gerade dieser Schuss tatsächlich eine grosse Dummheit gewesen war.
Doch plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht und die Augen begannen zu glänzen. Gab es vielleicht doch einen Ausweg? Konnte die Geschichte glaubhaft noch so gedreht und gewendet werden, dass man ihm den Unfall doch glauben wollte? Oder bestand gar die Möglichkeit, dass man Casutt hier nicht vor dem Winter finden würde? War das der Grund dieses Lächelns?
Nein, davonkommen würde er nicht mehr, das wusste er, aber es würde noch einmal für einen Rehrücken in der Krone reichen. Und damit sah das Schicksal für ihn entschieden etwas weniger düster aus.
Nein, davonkommen würde er nicht mehr, das wusste er, aber es würde noch einmal für einen Rehrücken in der Krone reichen. Und damit sah das Schicksal für ihn entschieden etwas weniger düster aus.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen