Montag, 1. September 2014

So viel zu Kochkunst



Willy Maywald und ich schlenderten an einem Herbstabend im Jahr 1951 von der Metro-Station Alma Marceau kommend die Avenue George V hoch, bis zum gleichnamigen Hotel, wo wir uns mit der gemeinsamen Freundin Peggy Guggenheim zum Cocktail verabredet hatten, die jeden Monat für ein paar Tage dort zu wohnen pflegte, um in der französischen Hauptstadt ein paar Einkäufe zu machen, welche ihre mittlerweile doch recht ansehnliche Kunstsammlung in Venedig ergänzen sollten.

Während die letzten Blätter der umstehenden Kastanienbäume sich nach einem heftigen Windstoss von den Ästen gelöst hatten und uns um die Köpfe wirbelten, zeichnete sich um Willys Mund ein zufriedenes Lächeln ab und das Leuchten aufgeregter Zufriedenheit hatte sich in seinen Augen breit gemacht, so dass er vollkommenes Glück ausstrahlte. Er hatte heute den ganzen Tag für Christian Dior eine neue Kreation in Szene gesetzt und dabei ein paar ausserordentliche Bilder zustande gebracht. Und wenn auch Willy vor allem ein sehr stiller Schaffer und sanftmütiger Mensch war, so kam es doch hin und wieder vor, dass er nach einer besonders geglückten Arbeit so aufgeregt und nervös wie ein kleiner Bub sein konnte, der sich auf den ersten Anblick des üppig geschmückten Christbaumes und die darunter liegenden Geschenke zu freuen schien.

Da ich wusste, wie sehr er diese Momente genoss, schritt ich schweigend neben ihm her und liess ihn sein Glück des Gelingens auskosten. Spätestens in fünf Minuten, wenn wir mit Peggy zusammentreffen würden, wäre es mit dieser Einkehr vorbei und man würde sich dann über die Kunst, die Künstler, die Mode, die Fotografie im Allgemeinen, Willys Fotografie im Speziellen und über die Olive im trockenen Martini unterhalten. Denn wenn Peggy Hof hielt, dann sprangen die Themen wie junge Rehkitze von einem Ort zum anderen und man befand sich in einem Kaleidoskop von Gefühlen, Gedanken und Ideen, welche sich mit jeder Bewegung vollkommen verändern konnten.

Und als wir zwei Stunden später immer noch mit Peggy auf den samtbezogenen Fauteuils in der Halle sassen und uns bereits ausführlich über Jean Cocteaus neue Projekte und Liebhaber, Alberto Giacomettis Heimatverbundenheit und Mutterliebe sowie Peggys Hunde unterhalten hatten, ein paar Drinks gekippt waren und unser Lachen immer ungezwungener wurde, spreizte die Lady in unserer Mitte plötzlich ihre Hände vor sich aus und gebot uns in ihrem leicht beschwipsten Zustand Stille, als müsste sie uns etwas von ausserordentlicher Wichtigkeit mitteilen. Und weil das in Peggys Fall alles Mögliche sein konnte, schraken Willy und ich tatsächlich wie Schulbuben zusammen und verstummten. Dann blickte uns die Mäzenin über die Ränder ihrer Brille ernst an und meinte dann, dass es jetzt aber wirklich Zeit wäre, über Ernsthaftes zu reden. Und ohne irgendeine Reaktion von uns abzuwarten, oder die Wirkung ihrer Ansage in Form unserer Überraschung auszukosten, hiess sie Willy und mich, sie in das Restaurant zu begleiten, um ein Kunstwerk zu essen. Richtig, ein Kunstwerk zu essen.

Da wir Peggy schon ein paar Jahre kannten und mittlerweile wussten, dass man ihren Rätseln mit penetrantem Nachfragen auf den Grund gehen musste, fragten Willy und ich sie gerade heraus, was denn heute für sie kulinarisch ein Kunstwerk darstellen könnte? Von dieser Frage nun doch etwas erstaunt, blickte sie uns überrascht in die Augen und meinte dann, am liebsten wäre ihr eine köstliche Kleinigkeit von Kandinsky, Miró und Dior.

Und da ich überhaupt keine Ahnung hatte, was sie damit meinen könnte, blickte ich scheu nickend und etwas flehend Willy an, in der Hoffnung, dass zumindest er eine Eingebung haben würde. Und tatsächlich, schon nach ein paar Sekunden strahlte er uns an und meinte: er wüsste genau, wonach ihr der Sinn stehen würde.

Und kaum dreissig Minuten später sassen wir auch schon im Speisesaal des George V und liessen uns von drei Kellnern jeweils einen Teller mit einer silbernen Cloche vorsetzen. Und da weder Peggy noch ich wussten, was Willy beim Chef de Service für uns bestellt hatte, staunten wir nicht schlecht, als die drei Cloches vor unseren Augen entfernt wurden und auf jedem Teller ein perfekt zubereitetes Spiegelei lag.

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