Montag, 1. September 2014

So viel zu Kochkunst



Willy Maywald und ich schlenderten an einem Herbstabend im Jahr 1951 von der Metro-Station Alma Marceau kommend die Avenue George V hoch, bis zum gleichnamigen Hotel, wo wir uns mit der gemeinsamen Freundin Peggy Guggenheim zum Cocktail verabredet hatten, die jeden Monat für ein paar Tage dort zu wohnen pflegte, um in der französischen Hauptstadt ein paar Einkäufe zu machen, welche ihre mittlerweile doch recht ansehnliche Kunstsammlung in Venedig ergänzen sollten.

Während die letzten Blätter der umstehenden Kastanienbäume sich nach einem heftigen Windstoss von den Ästen gelöst hatten und uns um die Köpfe wirbelten, zeichnete sich um Willys Mund ein zufriedenes Lächeln ab und das Leuchten aufgeregter Zufriedenheit hatte sich in seinen Augen breit gemacht, so dass er vollkommenes Glück ausstrahlte. Er hatte heute den ganzen Tag für Christian Dior eine neue Kreation in Szene gesetzt und dabei ein paar ausserordentliche Bilder zustande gebracht. Und wenn auch Willy vor allem ein sehr stiller Schaffer und sanftmütiger Mensch war, so kam es doch hin und wieder vor, dass er nach einer besonders geglückten Arbeit so aufgeregt und nervös wie ein kleiner Bub sein konnte, der sich auf den ersten Anblick des üppig geschmückten Christbaumes und die darunter liegenden Geschenke zu freuen schien.

Da ich wusste, wie sehr er diese Momente genoss, schritt ich schweigend neben ihm her und liess ihn sein Glück des Gelingens auskosten. Spätestens in fünf Minuten, wenn wir mit Peggy zusammentreffen würden, wäre es mit dieser Einkehr vorbei und man würde sich dann über die Kunst, die Künstler, die Mode, die Fotografie im Allgemeinen, Willys Fotografie im Speziellen und über die Olive im trockenen Martini unterhalten. Denn wenn Peggy Hof hielt, dann sprangen die Themen wie junge Rehkitze von einem Ort zum anderen und man befand sich in einem Kaleidoskop von Gefühlen, Gedanken und Ideen, welche sich mit jeder Bewegung vollkommen verändern konnten.

Und als wir zwei Stunden später immer noch mit Peggy auf den samtbezogenen Fauteuils in der Halle sassen und uns bereits ausführlich über Jean Cocteaus neue Projekte und Liebhaber, Alberto Giacomettis Heimatverbundenheit und Mutterliebe sowie Peggys Hunde unterhalten hatten, ein paar Drinks gekippt waren und unser Lachen immer ungezwungener wurde, spreizte die Lady in unserer Mitte plötzlich ihre Hände vor sich aus und gebot uns in ihrem leicht beschwipsten Zustand Stille, als müsste sie uns etwas von ausserordentlicher Wichtigkeit mitteilen. Und weil das in Peggys Fall alles Mögliche sein konnte, schraken Willy und ich tatsächlich wie Schulbuben zusammen und verstummten. Dann blickte uns die Mäzenin über die Ränder ihrer Brille ernst an und meinte dann, dass es jetzt aber wirklich Zeit wäre, über Ernsthaftes zu reden. Und ohne irgendeine Reaktion von uns abzuwarten, oder die Wirkung ihrer Ansage in Form unserer Überraschung auszukosten, hiess sie Willy und mich, sie in das Restaurant zu begleiten, um ein Kunstwerk zu essen. Richtig, ein Kunstwerk zu essen.

Da wir Peggy schon ein paar Jahre kannten und mittlerweile wussten, dass man ihren Rätseln mit penetrantem Nachfragen auf den Grund gehen musste, fragten Willy und ich sie gerade heraus, was denn heute für sie kulinarisch ein Kunstwerk darstellen könnte? Von dieser Frage nun doch etwas erstaunt, blickte sie uns überrascht in die Augen und meinte dann, am liebsten wäre ihr eine köstliche Kleinigkeit von Kandinsky, Miró und Dior.

Und da ich überhaupt keine Ahnung hatte, was sie damit meinen könnte, blickte ich scheu nickend und etwas flehend Willy an, in der Hoffnung, dass zumindest er eine Eingebung haben würde. Und tatsächlich, schon nach ein paar Sekunden strahlte er uns an und meinte: er wüsste genau, wonach ihr der Sinn stehen würde.

Und kaum dreissig Minuten später sassen wir auch schon im Speisesaal des George V und liessen uns von drei Kellnern jeweils einen Teller mit einer silbernen Cloche vorsetzen. Und da weder Peggy noch ich wussten, was Willy beim Chef de Service für uns bestellt hatte, staunten wir nicht schlecht, als die drei Cloches vor unseren Augen entfernt wurden und auf jedem Teller ein perfekt zubereitetes Spiegelei lag.

Donnerstag, 28. August 2014

Gourmet-Spätzli Charlie



„Wissen Sie, das war ja mal wieder so ein richtiger Scheisssommer. Als Spatz kriegt man das Wetter eben vor allem in der Stadt noch mit. Da kann eine Hecke noch so dicht bewachsen, Büsche und Sträucher sich aufs Prächtigste ausbreiten und die Schlupfwinkel in den Häusern für einmal nicht von Mauerseglern oder Tauben besetzt sein. All das hilft nichts, um einen Sommer erträglicher zu machen. Und es ist auch nicht die Kälte, die uns zusetzt, denn für etwas haben wir ja unser Gefieder.

Was uns aber wirklich an die Substanz geht, sind all die geschlossenen Gartenbeizen, die fehlenden Sandwichverzehrer und die Wurstvertilger, welche ihre Bürlis und Brötchen mit der einen Hand so zusammenquetschen, dass knusprige Krümel wie eine Gerölllawine auf den Boden fallen. Ich meine, so was nennen wir bei uns einen anständigen Broterwerb. Und davon hatten wir diesen Sommer eindeutig zu wenig.

Und natürlich können jetzt all die sechsmalklugen Ornithologen kommen und sagen, dass unsere Spezies nicht dafür geschaffen wurde, von den Brotkrumen der Menschen zu leben. Aber hey, auch wir haben uns weiterentwickelt und sind in der Evolution ein paar Flügelschläge weitergeflogen. Und wenn man uns auch immer wieder beleidigend als verbale Prügelknaben für die Dümmsten unter den Menschen benutzt, so sind es doch unsere Spatzenhirne, die sich in einer brutalen und tierverachtenden Welt zu adaptieren wussten. Und damit noch nicht genug: wir haben es verstanden, als Vögel akzeptiert zu sein.

Und glauben sie mir, wenn Sie einmal mit einem Freund von mir, dem Täubchen Paul, sprechen würden, dann wüssten Sie, wie Menschen Tiere zu hassen wissen. Okay, ganz unschuldig sind sie auch nicht. Ich habe Paul ja schon oft gesagt, er soll nicht überall hinscheissen. Schliesslich wurden seine Tante Ursula, seine Cousins Reto und Kaspar sowie seine eigene Schwester Heidrun zu Opfern dieser schlechten Gewohnheit. Und ich sage Ihnen, der Wildhüter von Zürich hat da wirklich einen sehr guten Job gemacht. Ein richtiger Killer ist das. Der kennt keine Gnade.

Doch sprechen wir wieder von etwas Angenehmeren. Wie Sie ja wissen, bin ich als Testesser in der Stadt Zürich nicht gerade ein Grünschnabel. Und mein Gourmetführer wird allseits bewundert und von sehr vielen Feinschmeckervögeln geschätzt. Und da sehe ich bei einem solch schlechten Sommer eben auch sofort die wirtschaftlichen Realitäten. Ich bin aufs schöne Wetter angewiesen. Wie sonst könnte ich denn all die Strassen, Plätze, Gassen und Gartenbeizen auf ihre kulinarischen Vorzüge hin testen? Und wenn es natürlich auch bei uns die Klassiker gibt, die stets empfehlenswert sind, so möchten der Spatz und die Taube von Heute ihren Horizont ständig erweitern und neue Plätze entdecken. Es ist essentiell, dass man seine Leser mit Geheimtipps, Auffliegern des Jahres und neuen Bewertungen bei der Stange hält. Und wer bei uns einmal mit drei Schnäbeln bewertet wurde, kann sich sicher sein, dass ihm die Spatzen und Tauben die Bude einflattern.

Hoffen wir also, dass der September noch etwas wärmer und schöner wird und dass ich meine Arbeit tun kann. Schliesslich habe ich nicht vor, meinen guten Ruf als Gourmet zu verlieren. Und Sie wissen ja, wenn man einmal locker lässt, dann pfeifen es die Spatzen sofort von den Dächern.“

Freitag, 22. August 2014

Vier Oscars für einen Hackbraten


Da sass ich doch gestern mit Katharine Hepburn zusammen beim Tee und wir sprachen über ihr Leben, das sie nach einer fast unnachahmlichen Karriere mit vier Oscars, einer grossen Liebe und einer Krebserkrankung nach 96 Jahren verlassen hatte, um der Welt nun von ihrer Wolke aus zuzuschauen.

Wieder einmal hatten mich meine guten Beziehungen mit dem schrulligen Herrn da oben – sorry meine Damen, aber Gott ist tatsächlich keine Frau – zu einer Legende geführt, die auch nach ihrem Tod kein Bisschen von ihrem Sarkasmus verloren hatte und sich sehr darüber freute, dass sie Spencer Tracy nun auch offiziell nahe sein durfte. So war es auch nicht erstaunlich, dass die wirklich sehr elegante und etwas androgyn wirkende Dame gleich zu Beginn die Bemerkung fallen liess: „Ach, wenn die Kirche da unten auf dem Planeten nur wüsste, dass Gott ein alter Hippie ist und dass hier im Himmel nicht die unendliche, sondern vor allem die freie Liebe gelebt wird, würden sie wohl ihren alten Herrn geradewegs exkommunizieren. Aber irgendwie scheinen die sich da unten den Spass selbst einfach gönnen zu wollen.“

Doch natürlich war ich als kulinarisch beflissener Elefant nicht in den Himmel geflogen, um mit Katharine Hepburn über ihr erotisches Nachleben zu sprechen, sondern weil ich irgendwo mal aufgeschnappt hatte, dass sie eine leidenschaftliche Köchin gewesen sei, was nur ganz wenige wussten, die einen ganz hervorragenden Hackbraten zu machen wusste. Und diese Nachricht war für mich einfach ein absoluter Primeur, dem ich mit eigenen Recherchen auf den Grund gehen wollte. Denn schliesslich würde man diese grossartige Schauspielerin wohl eher mit Canapés in Zusammenhang bringen als mit einem so rustikalen Essen, für das man sich die Hände wirklich ‚schmutzig’ machen musste.

Aber genau das war es, was die Zubereitung eines Hackbraten für Frau Hepburn zu einer Leidenschaft werden liess: „Was glauben Sie wohl, mein Lieber, wie oft ich im Laufe meiner Karriere gerne jemanden erwürgt hätte? Studio-Bosse, Spencers Ehefrau, Konkurrentinnen, Journalisten, Paparazzi, Republikaner...die Liste ist beinahe unendlich. Da war der Griff in die Schüssel, um die Hackbratenmasse zu erdrosseln doch eine sehr gangbare Alternative. Und da ich ja das Ding anschliessend auch essen musste, ohne dabei meine Selbstachtung zu verlieren, war es nur recht und billig, dass es nach was richtig Gutem schmeckte.“ Und ergänzend merkte sie an: „Jedes Mal, wenn ich Humphrey Bogart zum Essen eingeladen hatte, was nach dem Krieg doch hin und wieder einmal vorkam, fragte er mich beim Anblick des Hackbratens, wer denn jetzt wieder hätte dran glauben müssen. Das ging soweit, dass er mich zeitweise nur noch die Hackbratenwürgerin nannte.“

Auf die Frage, was denn ihr Rezept für einen feinen Hackbraten ausmache, meinte sie ganz lapidar: „Genügend Wut. Das macht die Konsistenz wunderbar fein.“ Das zwar nicht die Antwort, die ich erhofft hatte, aber irgendwie schien es mir nicht höflich zu sein, hier nochmals nachzuhaken.

Sonntag, 17. August 2014

Signora Lucelli



Hoch über uns spannte sich ein weiter stahlgrauer Himmel, während die morgendliche Luft, noch kühl von der Nacht, Signoras Lucellis und meine Augen wie Taunebel befeuchteten und unseren Blick klar werden liessen. Es war noch nicht 6 Uhr und die Vögel sowie die Grillen waren weit und breit das Einzige, was wir zu hören bekamen.

Wir befanden uns in der Umgebung von Tavernelle, einem kleinen Ort zwischen Florenz und Siena, wo die Wälder zum Pilzsammeln einladen. Und weil ich gerade für die New York Times einen Artikel über Pilzgerichte schrieb, schien es mir opportun, mich in ein Flugzeug zu setzen, um über Zürich nach Florenz zu fliegen und mich an Signora Lucelli zu wenden, welche selbst eine kleine Osteria betreibt und als eine grossartige Köchin gilt, die weit über die Landesgrenzen hinaus für ihre umwerfenden Pilzgerichte bekannt ist, mit der Bitte, mir ein paar Geheimnisse zu verraten. Etwas darüber erstaunt, dass ich dafür extra aus den Staaten herangereist war, hatte sie nichts dagegen einzuwenden, sondern fühlte sich wohl sogar etwas geschmeichelt, soweit ich das an ihrem sehr zurückhaltenden Lächeln, das zu interpretieren schon eine Kunst für sich war, erkennen konnte, und hiess mich heute Morgen um 5 Uhr in der Früh bei ihr vor der Haustüre stehen.

„Sie werden von mir keine Rezepte erhalten, mein Lieber,“ sagte Signora Lucelli gleich als Erstes zu mir, „aber Sie werden mich in den nächsten vier Tagen begleiten können und dann sehen, was hinter meiner Art zu kochen tatsächlich steckt. Und ich kann Ihnen sagen“ und dabei sah sie mich mit einem süffisanten Lächeln, das jetzt tatsächlich auch als eines auszumachen war, von oben bis unten an und schloss mit den Worten, „mit Ihren Halbschuhen werden Sie dabei nicht weit kommen. Also, bis morgen mein Lieber.“

Nachdem ich also gestern noch hastig in einem Sportgeschäft in Colle di Val d’Elsa ein Paar Wanderschuhe gekauft hatte, stand ich jetzt mit Signora Lucelli am Waldrand und blickte in die grüne Dichte eines wilden Mischwaldes, dessen Unterholz von unzähligen Stauden, Sträuchern, Farnen und Gräsern überwachsen war. Und wie in einem Roman von Joseph Conrad schritten wir mit beherzten Schritten in diese Finsternis, die sich nach einer Weile in eine ruhige und von Insekten, Schmetterlingen und Vögeln beseelte Oase verwandelte und fanden innert zweier Stunden wunderbare Pfifferlinge, Steinpilze, Kräuterseitlinge, Waldchampignons und Totentrompeten. Mit anderen Worten die ganze Breite an Pilzen, wie man sie sonst nur auf guten Märkten bekommt.

Als wir dann zwei Stunden später in ihrer Küche standen und ich dabei zusah, wie sie die Pilze mit einem kleinen Küchenmesser und einer kleinen Pilzbürste reinigte, erzählte sie mir, was ihr Geheimnis war. Und wie so oft bei grossen Köchen, war das Geheimnis auch bei ihr nicht wirklich eines. Denn auf alles, wonach es Signora Lucelli beim Kochen mit Pilzen ankam, war die richtige Partnerwahl.

„Es ist wie bei uns Menschen, es sollte passen, aber dabei nicht zu harmonisch sein. Beide Partner sollten ein Eigenleben und ihre Freiheiten haben. Wenn ein Pilz einen starken Charakter hat, dann sollte man ihm auch mit Stärke begegnen, ohne ihn einzuengen. Zum Beispiel mit Liebstöckl, Dill, Schnittlauch, Beifuss oder im Frühjahr auch mit Brennesseln. Wenn ein Pilz zur Harmonie neigt, verhelfen Sie ihm zu mehr Persönlichkeit mit Petersilie, Kerbel oder Thymian. Und damit sich beide Charakter mit einander anfreunden können, nehmen Sie Zwiebeln, Mangoldblätter oder Spinat. Sie verstehen, was ich meine?“

Zwiebeln, Mangoldblätter oder Spinat als Paartherapeut? Nun gut, irgendwie war das zu verstehen.

Diese Frau hatte sich für das, was sie tat, eine eigene Weltanschauung geschaffen, die immer den Menschen in den Mittelpunkt stellte. Sie betrachtete das Kochen als eine Art Lebensphilosophie. Eat Pray Love auf Italienisch, nur auf Italienisch. Aber ihre Philosophie war so berückend einfach und einleuchtend, dass ich darüber erschrak. Nicht weil ich es nicht faszinierend fand, sondern weil ich daran zweifelte, ob ich diese Einfachheit den Lesern der New York Times auch schmackhaft und erklärbar machen konnte. Und als ob Signora Lucelli meine Gedanken gelesen hätte, fügte sie noch hinzu: „Glauben Sie mir, wenn man etwas begreifen möchte, dann ist es das Einfachste. Denn nichts scheint komplizierter zu sein. Dabei ist nicht das Einfache kompliziert, sondern die Eitelkeit, diese Einfachheit nicht zuzulassen.“

Donnerstag, 7. August 2014

Meine goldenen Zeiten



Als ich einmal ein Vogel war, segelte ich vor Hunderten von Jahren über eine kaum bevölkerte Welt. Die Wälder waren gross, die Nächte dunkel und der Fisch in den Meeren so zahlreich, dass man aus der Höhe, nebst den Wellen, auch eine ständige Bewegung verschiedener Fischschwärme beobachten konnte. Und wenn man ein kleines Hungergefühl verspürte, dann konnte man sozusagen blindlings ins Meer, in die Flüsse oder Bäche eintauchen und hatte mit Sicherheit einen köstlichen Fisch im Schnabel. Es war ein gutes Leben und ich liebte es sehr, meine Flügel in der Thermik auszubreiten und unter mir diese Farben des Wassers, der Wiesen, Wüsten und Wälder zu sehen, während die Sonne meinen Rücken wärmte.

Als ich ein paar hundert Jahre später einmal ein Wolf war, konnte unser Rudel einen mächtigen unberührten Wald seine Heimat nennen, das, ausgenommen vom harten Winter, mit keinen Widrigkeiten zu rechnen hatte. Wir verstanden uns mit den Bären in der Regel recht gut, wenn man sich bei der Beute nicht gerade in die Quere kam. Doch da es genug Wild hatte, dass es zu reissen gab, musste man als Wolf doch ein rechter Trottel sein, um diesen Tatzenviechern das Kitz oder die Hirschkuh streitig zu machen. Vor allem aber war es diese Weite, die, vom Ort des Sonnenaufganges bis zu jenem des Sonnenunterganges, alleine uns zu gehören schien.

Als ich wieder ein paar hundert Jahre später eine Katze am ägyptischen Hof war, die sich bei der Pharaonenfamilie einzuschmeicheln wusste und von allen gehätschelt wurde, stand mir ein ganzer Palast zur Verfügung, der von Mäusen und Käfern nur so wimmelte. Doch weil meine Besitzer dachten, sie müssten mich als Statussymbol wie einen Gott behandeln, wurde mir natürlich auch Fisch auf Tellerchen gereicht, der immer frisch zu sein hatte und den ein Vorkoster stets zu probieren hatte. Ich kann es ihm nicht verdenken, dass er mich deswegen nicht allzu sehr ins Herz schliessen mochte. Aber was sollte ich machen. Als Gottheit war mir das so ziemlich egal. Ich hatte ein gutes Leben. Sieben gute Leben.

Als es im Abendland dann dunkel und finster wurde, das Mittelalter und die Pest Einzug erhielt, entschloss ich mich, eine Kuh in Indien zu sein. Und auch wenn es sehr oft sehr heiss und staubig war, so führte ich doch ein Leben in gemächlicher Ruhe und hatte eigentlich nur die Tiger zu fürchten, wenn die sich nahe an die Dörfer wagten, um unsereins mit einem Biss in den Hals zu reissen. Aber ich hatte Glück. Und ich hatte ja die Wahl.

Denn seit Anbeginn der Zeit ist mir die Fähigkeit gegeben, mein Dasein zu wählen und zu bestimmen. Ich habe die Menschheitsgeschichte, den Aufstieg und den Niedergang von Völkern und Kulturen, das Aussterben der Dinosaurier (die Wahl, ein Hai zu sein, war doch wohl nicht so dumm zu jener Zeit), die Abholzung Europas, unendlich viele Kriege und Seuchen sowie viele andere unglaubliche Geschichten und Wendungen auf diesem Planeten als Zeuge miterlebt. Ich habe mich als Tier oder als Mensch durch die Jahrtausende bewegt und dabei immer darauf geachtet, dass ich dabei ein gutes Leben führen konnte. Ich war Kaiserin, Konkubine, Edelmann und Da Vinci. Ich war Hure, Napoleon, Rudolpho Valentino und Investment Banker. Und das alles nicht aus Ignoranz oder Selbstsüchtigkeit, sondern vielmehr aus der Einsicht heraus, dass letztlich sowohl das Gute wie auch das Schreckliche der Vergänglichkeit zum Opfer fallen. 

Aber offen gestanden, das einzig wirklich Gute, was in meinen bisherigen Leben Bestand hatte, war meine Verpflegungssituation. Denn da hielt ich es mit Brecht: Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Montag, 28. Juli 2014

Grimms Hunger



Ich wandelte im Jahre 1817 an einem Sommertag mit Jacob und Wilhelm Grimm auf einem gar hübschen Wege im Schatten grosser Linden, welche, sich immer zu zweien gegenüberstehend, einen Weg säumten und so eine Allee bildeten, und besprach mich dergestalt in Bewegung befindlich mit dem Brüderpaar über die kulinarischen Gepflogenheiten der verschiedenen Protagonisten, welche in den von ihnen niedergeschriebenen Kinder- und Hausmärchen so mancherlei Abenteuer zu erleben und bestehen hatten.

Da die beiden etwa 30-jährigen Herren meine Anfrage für ein solches Gespräch, welche ich nach der damaligen Sitte mit einem ausnehmend höflichen Brief per Kutsche und Postreiter zukommen liess, schon alleine des Inhalts wegen sehr kurios fanden, staunten sie nicht schlecht, als ein Elefant plötzlich vor ihrer Türe stand und ihnen mit einem süffisanten Lächeln unter dem Rüssel seine Ehrerbietung erwies und ihnen dabei unübersehbar zu verstehen gab, dass diese Gelegenheit nun tatsächlich gekommen war.

Doch da die Herren Grimm von ihren Märchen schon einige Abnormalitäten und Fantastereien gewohnt zu sein schienen, rungen diese sich nur ein knappes ‚hoppla’ ab, zogen sich ihre Kittel über und schritten frohgemut mit mir in die Landschaft hinaus, als wäre ich gerade so mal das Normalste, was sich im Deutschen Lande zu vier Füssen selbst fortzubewegen pflegte. Ja, das musste man diesen beiden Schreiberlingen lassen, so schnell liessen sie sich nichts mehr vormachen.

Als schon nach kurzer Zeit unseres Ausschreitens in Gottes Natur die etwas förmliche Kennenlernphase passé war, tauchten wir gemeinsam in die Tiefen des lukullischen Ozeans, welcher die Märchen durchaus anzubieten hatten und parlierten darüber, wie es denn mit der Genussfähigkeit besagter Agitatoren stehen mochte. Und wie es nicht anders zu erwarten war, tauchten aus dem Dunkel dieses wogenden Meeres unendlich viele Fragen auf.

Um was für einen Apfel mochte es sich handeln, den Schneewittchen von der Hexe überreicht bekam? Wie hätte ein Wolf, wenn er denn ein gelernter Koch gewesen wäre, Rotkäppchens Grossmutter für den lustvolleren Verzehr mariniert? Und was mochte das wohl für ein Kuchen gewesen sein, den Rotkäppchens Mutter gebacken hatte? Ob Rapunzel wohl mehr Haare in ihrer Suppe fand, als es bei gleichaltrigen Burgfrowen sonst der Fall war? Handelte es sich bei dem Käse, den das tapfere Schneiderlein in seiner Hand zusammendrückte um einen reifen Camembert oder eher um einen etwas kräftigen Hartkäse aus den Schweizer Bergen? Und welche Leckereien fanden sich tatsächlich auf dem Tischlein-deck-dich? Hatten die Märchen einen Störkoch, der jeweils für jede Geschichte aufs Neue seine Fantasie walten liess?

Die Gebrüder Grimm, von der Fülle meiner Fragen sehr amüsiert und nicht weniger erstaunt, begannen zuerst mit grosser Gewissen- und Ernsthaftigkeit meine Fragen zu beantworten und wollten deren Beantwortung so manche wissenschaftliche These angedeihen lassen. Doch da sie sich dabei selbst auf recht abenteuerliche Weise in eigenwilligen Theorien zu verstricken drohten und ob dem Thema sehr schnell einen Hungerast verspürten, beschloss man gemeinsam ein gerade ins Blickfeld geratene Gaststätte heimzusuchen, um nicht mehr über diese Sache reden zu müssen, sondern darüber essen zu können. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass man mich als Elefanten von dieser Strategie und Vorgehensweise nicht lange zu überzeugen brauchte.

Donnerstag, 17. Juli 2014

Sommerloch



Ein Elefant liest die Zeitung und es vergeht ihm der Hunger.

Die Affenbrotbäume überstehen jede Dürre, während die hiesigen Hirnmassen des Homo sapiens, welche eigentlich über genügend Fett und feuchte Masse verfügen müssten, allmählich ausgetrocknetem Zwieback ähneln, die, von der Dummheit der Menschen wohl sträflich der heissen Sonne ausgesetzt, so mürbe geworden sind, dass deren Durchblutung nicht mehr gewährleistet zu sein scheint. Allerorten werden die Besitzstände nicht nur mit Kollateralschaden aufs Ekelerregendste verteidigt, sondern man entdeckt auch neue Geschäftsfelder auf Kosten von vielen Menschen, die dem Goodwill von ein paar wenigen Möchtegerndiktatoren und Geierhaien ausgesetzt sind und für deren Bereicherung sie dann eine saftige Zeche zu bezahlen haben.

Wie sich das liest? Voilà: Die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, im Sudan und an der Börse mit Hedge Funds machen nicht nur wegen ihrer Brutalität, sondern auch wegen ihrer Perfidie sprachlos. Die schamlos offengelegte Gier, welche Lobbyisten überall zu den kühnsten Vorschlägen bei hiesigen Politikern bewegt, lässt nur staunen und kopfschütteln. Und die vielen Studien und Expertisen über die Befindlichkeiten der modernen Gesellschaft, welche einfach das offen legen, was schon offensichtlich ist – nämlich dass wir es irgendwie miteinander nicht gebacken kriegen –, bestätigen uns nicht in unserer Fähigkeit, richtig zu reflektieren, sondern viel mehr darin, nichts daraus zu lernen. Und dann wäre da noch diese wiederentdeckte Religiosität, welche in allen Kulturkreisen keine Nächstenliebe, sondern viel mehr Nächstenhass, Ignoranz und Menschenfeindlichkeit predigt. Sei es, wenn es darum geht, andere Kulturen, andere Lebensformen und andere Verhaltensnormen zu torpedieren, zu verbieten oder einfach in den Dreck zu ziehen. Oder wenn die mangelnde Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszudenken, plötzlich zum einzigen gemeinsamen Nenner geworden ist, bei dem ein jeder dem anderen die Schuld in die Schuhe schieben kann.

Ein Elefant liest die Zeitung und es vergeht ihm der Hunger. Nicht wegen allen anderen, sondern auch wegen sich selbst. Das ist kein Black- oder Burn-out, sondern einfach einmal so eine Laune, die er als im Glück geborener Säuger wohl morgen schon wieder vergessen haben wird. Mit ein bisschen schlechtem Gewissen, ein paar unbedeutenden Aufregungen und null persönlichen Konsequenzen.

Ein Elefant liest die Zeitung. Und macht nichts, als ein bisschen darüber zu schreiben und den Rüssel in die Höhe zu halten, weil er glaubt, die Gedanken würden dadurch etwas grösser und erhabener werden. Doch das Einzige, was am Ende wohl mit absoluter Sicherheit geschehen wird, ist, dass der Hunger zurückkommen und die Aufregung vergessen wird. Ein Elefant hat also tatsächlich nur eine Maus geboren.