Donnerstag, 28. August 2014

Gourmet-Spätzli Charlie



„Wissen Sie, das war ja mal wieder so ein richtiger Scheisssommer. Als Spatz kriegt man das Wetter eben vor allem in der Stadt noch mit. Da kann eine Hecke noch so dicht bewachsen, Büsche und Sträucher sich aufs Prächtigste ausbreiten und die Schlupfwinkel in den Häusern für einmal nicht von Mauerseglern oder Tauben besetzt sein. All das hilft nichts, um einen Sommer erträglicher zu machen. Und es ist auch nicht die Kälte, die uns zusetzt, denn für etwas haben wir ja unser Gefieder.

Was uns aber wirklich an die Substanz geht, sind all die geschlossenen Gartenbeizen, die fehlenden Sandwichverzehrer und die Wurstvertilger, welche ihre Bürlis und Brötchen mit der einen Hand so zusammenquetschen, dass knusprige Krümel wie eine Gerölllawine auf den Boden fallen. Ich meine, so was nennen wir bei uns einen anständigen Broterwerb. Und davon hatten wir diesen Sommer eindeutig zu wenig.

Und natürlich können jetzt all die sechsmalklugen Ornithologen kommen und sagen, dass unsere Spezies nicht dafür geschaffen wurde, von den Brotkrumen der Menschen zu leben. Aber hey, auch wir haben uns weiterentwickelt und sind in der Evolution ein paar Flügelschläge weitergeflogen. Und wenn man uns auch immer wieder beleidigend als verbale Prügelknaben für die Dümmsten unter den Menschen benutzt, so sind es doch unsere Spatzenhirne, die sich in einer brutalen und tierverachtenden Welt zu adaptieren wussten. Und damit noch nicht genug: wir haben es verstanden, als Vögel akzeptiert zu sein.

Und glauben sie mir, wenn Sie einmal mit einem Freund von mir, dem Täubchen Paul, sprechen würden, dann wüssten Sie, wie Menschen Tiere zu hassen wissen. Okay, ganz unschuldig sind sie auch nicht. Ich habe Paul ja schon oft gesagt, er soll nicht überall hinscheissen. Schliesslich wurden seine Tante Ursula, seine Cousins Reto und Kaspar sowie seine eigene Schwester Heidrun zu Opfern dieser schlechten Gewohnheit. Und ich sage Ihnen, der Wildhüter von Zürich hat da wirklich einen sehr guten Job gemacht. Ein richtiger Killer ist das. Der kennt keine Gnade.

Doch sprechen wir wieder von etwas Angenehmeren. Wie Sie ja wissen, bin ich als Testesser in der Stadt Zürich nicht gerade ein Grünschnabel. Und mein Gourmetführer wird allseits bewundert und von sehr vielen Feinschmeckervögeln geschätzt. Und da sehe ich bei einem solch schlechten Sommer eben auch sofort die wirtschaftlichen Realitäten. Ich bin aufs schöne Wetter angewiesen. Wie sonst könnte ich denn all die Strassen, Plätze, Gassen und Gartenbeizen auf ihre kulinarischen Vorzüge hin testen? Und wenn es natürlich auch bei uns die Klassiker gibt, die stets empfehlenswert sind, so möchten der Spatz und die Taube von Heute ihren Horizont ständig erweitern und neue Plätze entdecken. Es ist essentiell, dass man seine Leser mit Geheimtipps, Auffliegern des Jahres und neuen Bewertungen bei der Stange hält. Und wer bei uns einmal mit drei Schnäbeln bewertet wurde, kann sich sicher sein, dass ihm die Spatzen und Tauben die Bude einflattern.

Hoffen wir also, dass der September noch etwas wärmer und schöner wird und dass ich meine Arbeit tun kann. Schliesslich habe ich nicht vor, meinen guten Ruf als Gourmet zu verlieren. Und Sie wissen ja, wenn man einmal locker lässt, dann pfeifen es die Spatzen sofort von den Dächern.“

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