Donnerstag, 7. August 2014

Meine goldenen Zeiten



Als ich einmal ein Vogel war, segelte ich vor Hunderten von Jahren über eine kaum bevölkerte Welt. Die Wälder waren gross, die Nächte dunkel und der Fisch in den Meeren so zahlreich, dass man aus der Höhe, nebst den Wellen, auch eine ständige Bewegung verschiedener Fischschwärme beobachten konnte. Und wenn man ein kleines Hungergefühl verspürte, dann konnte man sozusagen blindlings ins Meer, in die Flüsse oder Bäche eintauchen und hatte mit Sicherheit einen köstlichen Fisch im Schnabel. Es war ein gutes Leben und ich liebte es sehr, meine Flügel in der Thermik auszubreiten und unter mir diese Farben des Wassers, der Wiesen, Wüsten und Wälder zu sehen, während die Sonne meinen Rücken wärmte.

Als ich ein paar hundert Jahre später einmal ein Wolf war, konnte unser Rudel einen mächtigen unberührten Wald seine Heimat nennen, das, ausgenommen vom harten Winter, mit keinen Widrigkeiten zu rechnen hatte. Wir verstanden uns mit den Bären in der Regel recht gut, wenn man sich bei der Beute nicht gerade in die Quere kam. Doch da es genug Wild hatte, dass es zu reissen gab, musste man als Wolf doch ein rechter Trottel sein, um diesen Tatzenviechern das Kitz oder die Hirschkuh streitig zu machen. Vor allem aber war es diese Weite, die, vom Ort des Sonnenaufganges bis zu jenem des Sonnenunterganges, alleine uns zu gehören schien.

Als ich wieder ein paar hundert Jahre später eine Katze am ägyptischen Hof war, die sich bei der Pharaonenfamilie einzuschmeicheln wusste und von allen gehätschelt wurde, stand mir ein ganzer Palast zur Verfügung, der von Mäusen und Käfern nur so wimmelte. Doch weil meine Besitzer dachten, sie müssten mich als Statussymbol wie einen Gott behandeln, wurde mir natürlich auch Fisch auf Tellerchen gereicht, der immer frisch zu sein hatte und den ein Vorkoster stets zu probieren hatte. Ich kann es ihm nicht verdenken, dass er mich deswegen nicht allzu sehr ins Herz schliessen mochte. Aber was sollte ich machen. Als Gottheit war mir das so ziemlich egal. Ich hatte ein gutes Leben. Sieben gute Leben.

Als es im Abendland dann dunkel und finster wurde, das Mittelalter und die Pest Einzug erhielt, entschloss ich mich, eine Kuh in Indien zu sein. Und auch wenn es sehr oft sehr heiss und staubig war, so führte ich doch ein Leben in gemächlicher Ruhe und hatte eigentlich nur die Tiger zu fürchten, wenn die sich nahe an die Dörfer wagten, um unsereins mit einem Biss in den Hals zu reissen. Aber ich hatte Glück. Und ich hatte ja die Wahl.

Denn seit Anbeginn der Zeit ist mir die Fähigkeit gegeben, mein Dasein zu wählen und zu bestimmen. Ich habe die Menschheitsgeschichte, den Aufstieg und den Niedergang von Völkern und Kulturen, das Aussterben der Dinosaurier (die Wahl, ein Hai zu sein, war doch wohl nicht so dumm zu jener Zeit), die Abholzung Europas, unendlich viele Kriege und Seuchen sowie viele andere unglaubliche Geschichten und Wendungen auf diesem Planeten als Zeuge miterlebt. Ich habe mich als Tier oder als Mensch durch die Jahrtausende bewegt und dabei immer darauf geachtet, dass ich dabei ein gutes Leben führen konnte. Ich war Kaiserin, Konkubine, Edelmann und Da Vinci. Ich war Hure, Napoleon, Rudolpho Valentino und Investment Banker. Und das alles nicht aus Ignoranz oder Selbstsüchtigkeit, sondern vielmehr aus der Einsicht heraus, dass letztlich sowohl das Gute wie auch das Schreckliche der Vergänglichkeit zum Opfer fallen. 

Aber offen gestanden, das einzig wirklich Gute, was in meinen bisherigen Leben Bestand hatte, war meine Verpflegungssituation. Denn da hielt ich es mit Brecht: Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

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