Montag, 28. Juli 2014

Grimms Hunger



Ich wandelte im Jahre 1817 an einem Sommertag mit Jacob und Wilhelm Grimm auf einem gar hübschen Wege im Schatten grosser Linden, welche, sich immer zu zweien gegenüberstehend, einen Weg säumten und so eine Allee bildeten, und besprach mich dergestalt in Bewegung befindlich mit dem Brüderpaar über die kulinarischen Gepflogenheiten der verschiedenen Protagonisten, welche in den von ihnen niedergeschriebenen Kinder- und Hausmärchen so mancherlei Abenteuer zu erleben und bestehen hatten.

Da die beiden etwa 30-jährigen Herren meine Anfrage für ein solches Gespräch, welche ich nach der damaligen Sitte mit einem ausnehmend höflichen Brief per Kutsche und Postreiter zukommen liess, schon alleine des Inhalts wegen sehr kurios fanden, staunten sie nicht schlecht, als ein Elefant plötzlich vor ihrer Türe stand und ihnen mit einem süffisanten Lächeln unter dem Rüssel seine Ehrerbietung erwies und ihnen dabei unübersehbar zu verstehen gab, dass diese Gelegenheit nun tatsächlich gekommen war.

Doch da die Herren Grimm von ihren Märchen schon einige Abnormalitäten und Fantastereien gewohnt zu sein schienen, rungen diese sich nur ein knappes ‚hoppla’ ab, zogen sich ihre Kittel über und schritten frohgemut mit mir in die Landschaft hinaus, als wäre ich gerade so mal das Normalste, was sich im Deutschen Lande zu vier Füssen selbst fortzubewegen pflegte. Ja, das musste man diesen beiden Schreiberlingen lassen, so schnell liessen sie sich nichts mehr vormachen.

Als schon nach kurzer Zeit unseres Ausschreitens in Gottes Natur die etwas förmliche Kennenlernphase passé war, tauchten wir gemeinsam in die Tiefen des lukullischen Ozeans, welcher die Märchen durchaus anzubieten hatten und parlierten darüber, wie es denn mit der Genussfähigkeit besagter Agitatoren stehen mochte. Und wie es nicht anders zu erwarten war, tauchten aus dem Dunkel dieses wogenden Meeres unendlich viele Fragen auf.

Um was für einen Apfel mochte es sich handeln, den Schneewittchen von der Hexe überreicht bekam? Wie hätte ein Wolf, wenn er denn ein gelernter Koch gewesen wäre, Rotkäppchens Grossmutter für den lustvolleren Verzehr mariniert? Und was mochte das wohl für ein Kuchen gewesen sein, den Rotkäppchens Mutter gebacken hatte? Ob Rapunzel wohl mehr Haare in ihrer Suppe fand, als es bei gleichaltrigen Burgfrowen sonst der Fall war? Handelte es sich bei dem Käse, den das tapfere Schneiderlein in seiner Hand zusammendrückte um einen reifen Camembert oder eher um einen etwas kräftigen Hartkäse aus den Schweizer Bergen? Und welche Leckereien fanden sich tatsächlich auf dem Tischlein-deck-dich? Hatten die Märchen einen Störkoch, der jeweils für jede Geschichte aufs Neue seine Fantasie walten liess?

Die Gebrüder Grimm, von der Fülle meiner Fragen sehr amüsiert und nicht weniger erstaunt, begannen zuerst mit grosser Gewissen- und Ernsthaftigkeit meine Fragen zu beantworten und wollten deren Beantwortung so manche wissenschaftliche These angedeihen lassen. Doch da sie sich dabei selbst auf recht abenteuerliche Weise in eigenwilligen Theorien zu verstricken drohten und ob dem Thema sehr schnell einen Hungerast verspürten, beschloss man gemeinsam ein gerade ins Blickfeld geratene Gaststätte heimzusuchen, um nicht mehr über diese Sache reden zu müssen, sondern darüber essen zu können. Es erübrigt sich zu erwähnen, dass man mich als Elefanten von dieser Strategie und Vorgehensweise nicht lange zu überzeugen brauchte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen