Mittwoch, 16. Oktober 2013

Ein Apfelkuchen aus gutem Grund



Es sind die Stunden der Belanglosigkeit, die uns in der Leere des Alltags auf Schritt und Tritt begleiten. Es sind die unbedeutenden Momente, die als Wasserzeichen auf einem weissen Papier in der Erinnerung verblassen. Es ist das diffuse Licht des Nebels, das uns wie ein kalter Schleier umschlingt und die Welt wie einen alten Schwarzweissfilm aussehen lässt.

Elisabeth sah aus dem Fenster und dachte wieder einmal über das Leben nach. Sie zog dafür verschiedene Gedankensplitter aus dem Fleisch der Vergangenheit, bis der Schmerz und die Kälte ihr Tränen in die Augen trieben. Wie unendlich traurig sie doch sein konnte. Und wie untröstlich hilflos ihr die Aussichten auf die Zukunft vorkamen. War das wirklich ihr Leben? 

Die Stille in der Stube sass irgendwo in der Ecke und beobachtete Elisabeth, als wäre sie eine Wissenschaftlerin, die gerade ihre eigene Schwerkraft entdeckt hatte. Der dämmernde Tag tauchte die Gegenstände im Zimmer in ein kaltes Grün, dessen Leuchtkraft schon vor Jahren erloscht sein mochte. Alles war tief und dunkel und vollkommen ohne Hoffnung.

„Was ist los mit dir, Elisabeth? Reiss dich zusammen. Lass dich nicht immer so gehen. Und vor allem, bemitleide dich nicht andauernd.“

Die Stimme in ihrem Kopf schüttelte sie an ihren Schultern und öffnete ihr die Augen. Wieder einmal war sie ihr zur Hilfe gekommen und hatte ihren Gedankenfluss, dessen Tiefen immer unergründlicher wurden, unterbrochen.

„Schau Elisabeth, du bist nicht allein. Du hast deine Gedanken. Und du hast die Kraft, diese in eine andere Welt zu verwandeln. Du kannst mit ihnen in deiner Fantasie fremdgehen, ohne dass du dich deshalb verraten müsstest. Du bist deine Gedanken und was du daraus machst. Du bist alles, was du sein willst. Das verstehst du doch?“

Elisabeth blickte in die Nacht hinaus und sah Schneeflocken fallen. Der erste Schnee. Grosse, weisse Schneeflocken, die innert Kürze die Welt in einen luftigen Schneeball verwandelten, der lautlos durch das Universum geschleudert wurde. Elisabeth sah Millionen von Sternen, die wie Glühwürmchen auf einer Tribüne sassen und den Flug des Schneeballs beobachteten und diesem als begeistertes Publikum applaudierten. Und dort, auf den Ringen des Saturns, sass ein Weihnachtsmann, der sich wie ein betrunkener Bayer am Oktoberfest auf die Oberschenkel klopfte und dabei beinahe hysterisch kicherte. Ja, Elisabeths Gedanken konnten die Welt noch verändern. 

Und als gerade ein kleines Lächeln verstohlen auf ihr Gesicht huschte, dachte Elisabeth, dass es jetzt wohl an der Zeit wäre, sich wieder dem Leben zuzuwenden. Und das konnte nur eines bedeuten. Sie musste sich einen Apfelkuchen backen.

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