Montag, 9. Dezember 2013

Schlawiner Beat mag Austern nicht



Das Licht im Lift war unappetitlich grell, so dass Beat jede Pore seines leicht aufgedunsenen Gesichtes sehen konnte. Die Nase, wie immer leicht gerötet und mit winzigen blauen, aber gut sichtbaren Äderchen durchzogen, sass auch heute nicht so gerade im Gesicht, wie er es gern gehabt hätte. Und die Tränensäcke, wie auch die rundlichen Wangen, hatten den Kampf gegen die Schwerkraft schon lange verloren und zogen seine Visage talabwärts und zeigten dabei auf das etwas zu weit offen getragene Hemd und mit den gutgemeinten, aber eben doch zu spärlichen Brusthaaren darunter, von denen wiederum nur eine etwas zu gross geratene Goldkette abzulenken vermochte. Ja, dachte Beat, eigentlich sehe ich gar nicht so gut aus.

Aber was soll’s? So lange er bei seinen Freunden noch als Womanizer galt und auch bei den Frauen selbst als charmanter, wenn auch etwas drolliger Kerl seine Erfolge verbuchen konnte, war die Welt doch irgendwie noch in Ordnung. Und es war nicht etwa so, dass er sich dafür keine Mühe gab. Im Gegenteil, Beat tat sehr viel dafür, den Frauen zu gefallen. Er machte Komplimente, die durchaus ernst gemeint waren, hatte ein gewinnendes Lächeln und wusste die Frauen auch stets mit seinem Savoir-vivre zu überraschen. Denn Beat hatte genau die Balance gefunden, auf die Damen einen weltmännischen Eindruck zu hinterlassen, ohne dabei zu arrogant oder zu lächerlich zu wirken. Dies schaffte er zweifellos, in dem er sich selbst mit leiser Selbstironie geschickt aus der Schusslinie nahm und keine Angriffsfläche bot.

Wenn nur nicht diese Austern wären. Vor Jahren hatte er damit angefangen, neue temporäre Eroberungen mit einem Austernessen zu bezirzen. In der absoluten Gewissheit, dass dies einem schlechten Klischee entsprach, aber eben immer noch funktionierte, lud er in den letzten Jahren Marianne, Klara, Judith, Rita, Brigitte, Stefanie, Claire, Simone und Helen dazu ein und erzählte ihnen alles Geistreiche über Austern, was bei einem Tauchgang in Wikipedia herauszuholen war. Und natürlich hingen die Damen ihm an den Lippen, waren begeistert von seinen weitreichenden kulinarischen Kenntnissen und überwanden sich sogar, dieses schlabbrige und nach Hafenbecken schmeckende Etwas mit ein paar Spritzern Zitrone hinunterzuwürgen. Denn Beat war schliesslich ein netter Kerl, grosszügig und charmant, so dass man ihn nicht enttäuschen wollte. Und weil man, wie auch er, entschlossen war, die kommende Nacht nicht alleine im Bett zu verbringen, musste es einfach sein. Also runter damit. So einfach war das.

Als die Lifttüre sich öffnete und Beat in die kleine Vorhalle trat, während draussen der neue Tag die Sonne über den Horizont wuchtete und im vierten Stock über ihm Bettina noch schlafend in ihrem Bett lag, murmelte er zu sich selbst: Es ist Zeit, dass ich das auch einmal ohne Austern hinkriege. Ich mag Austern nicht. Sie sind mir zuwider. Und ich bin mir zuwider. Ich muss mir etwas Neues einfallen lassen. Aber nie wieder Austern.

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