Mittwoch, 4. Dezember 2013

Franziskas Ausraster



Sie müssen wissen, Franziska (nein, Fränzi mag sie explizit nicht genannt werden) ist ein netter Mensch. Sie trägt immer ein Lächeln im Gesicht, ist leidenschaftliche Primarlehrerin, fürsorgliche Mutter von zwei Buben (Jonas 1 und 2) und eine warmherzige Partnerin für ihren Mann, den Jürg. Franziska wohnt mit ihrer wunderbaren Familie in einem netten Reiheneinfamilienhaus in Winterthur, lässt sich alle fünf Wochen ihren asymmetrischen Haarschnitt erneuern, trägt vorzugsweise knallrote Wildlederschuhe mit seitlichen Reissverschlüssen (weil es noch keck aussieht), bastelt ihren Ohrenschmuck selber und hat ihren Jürg dazu gebracht, im Restaurant jeweils das Dessert mit ihr zu teilen (nicht etwa, weil sie geizig wären, oder Jürg so ein Mini-Caramelköpfli nicht selbst zu bewältigen vermöchte, sondern weil es ein Ausdruck von Sozialkompetenz ist, wenn man sich Dinge teilen kann). Ausserdem arbeiten Jürg wie auch sie selbst nur 80 Prozent, weil sie das ihrer Beziehung einfach gönnen wollten und weil es auf den Wanderwegen im Tösstal ja jedes Mal immer wieder etwas Neues zu entdecken gab.

Franziska ist auch eine gute Köchin. Und vor allem im Herbst, wenn all die wundervollen Gemüse im eigenen Garten (darunter auch drei Kürbissorten!) geerntet werden können, dann lebt sie auf. Dann sieht man sie für zwei Wochen abends praktisch nur noch in der Küche, um all die herrlichen Gewächse einzukochen, zu gelieren, im eigenen Dörrofen zu dörren oder zu herrlich exotischen Chutneys zu machen, um sie dann alle an einem Stand bei ‚Afro-Pfingsten’ , dem Festival für Afrika und Worldmusic, für einen guten Zweck zu verkaufen.

Wofür aber Franziska tatsächlich legendär ist, ist ihre Kürbissuppe. Denn diese ist nicht nur eines ihrer Lieblingsrezepte, sondern auch eine Hommage an die Zeit in Indien, als Jürg und sie, noch ledig, gemeinsam zwei Monate in einem Aschram verbrachten und dabei beim Meditieren nicht nur zu sich, sondern auch zueinander fanden. Dort hatte sie auch das Zubereiten von Speisen mit Gewürzen gelernt, die hier in der Schweiz nicht so gebräuchlich waren; zumindest nicht in dieser Kombination. Darum verwendete sie für ihre Kürbissuppe ‚Ganesha’, wie Franziska ihre Eigenkreation nannte, Kokosnussmilch, Kardamom, Koriander, Sternanis, viel Curry und Kreuzkümmel. Und für diese Suppe war sie einfach legendär. Das war ihr Ding.

Als Jürg und sie letzten Samstag bei ihren Freunden Rita und Reto eingeladen waren, geschah aber das, was nie hätte geschehen dürfen. Ihre Freundin, mit der sie ins Pilates und in die Sauna ging, und mit der sie zusammen auch in einer Blockflötengruppe spielte, hatte es gewagt, Franziskas Suppe nachzukochen (was ihr zum grossen Ärger auch noch perfekt gelang, wie Jürg fand). In diesem Moment hatte sich Franziska völlig vergessen und verlor die Kontrolle. Das erste Mal seit Jahren war in diesem grauenvollen Augenblick kein Lächeln mehr auf ihrem Gesicht zu sehen. Sondern nur ein schmaler Strich zwischen zwei zusammengepressten Lippen. So, ja so hatte sich Franziska schon lange nicht mehr gehen lassen. Es war zweifelsfrei ein Ausraster gewesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen