Freitag, 20. Dezember 2013

Weihnachten in Indien



Es war im Dezember 1876, als wir auf dem Rücken unserer Dromedare vor einem Palast in Jaipur angekommen waren und die Diener sich wie lautlose Tiger geschmeidig um unser Gepäck kümmerten, während der Herr des Hauses, Sir John Collins, uns mit offenen Armen empfing und willkommen hiess. Wir waren als Forschungsexpedition für ihre Majestät Königin Victoria unterwegs – und das sich im Bau befindlichen Natural History Museum in London – und sollten die Flora und Fauna Rajasthans erkunden. Unsere Aufgabe bestand darin, Zeichnungen anzufertigen und verschiedene Exemplare pflanzlichen und tierischen Ursprungs zu sammeln, zu bestimmen und zu katalogisieren, um diese dann nach Grossbritannien verschiffen zu lassen.

Um aber während der Weihnachtszeit nicht ganz jenseits zivilisatorischen Tuns unser Dasein fristen zu müssen, lud uns Collins, der Vetter von Lady Clementia Pringsley of Walshire – einer Freundin meiner Cousine Jane-Paulina – zu sich ein, um seinen und meinen guten Beziehungen in der englischen Gesellschaft die gebührende Ehrerbietung widerfahren zu lassen.

John war ein kerngesunder Kerl von 40 Jahren, der sich hier in Indien schon so manchen Orden ergattert hatte. Vor allem aber auch ein Mann, der im Rufe stand, weitherum über die besten Köche zu verfügen, was sich, zu unser aller Freude, auch tatsächlich bewahrheiten sollte.

Zu Heiligabend, als wir schon drei Tage die Annehmlichkeiten von Federbetten, Nachmittagstee und Gingerbread genossen hatten, versammelten wir uns an einer langen Tafel, die üppig mit Goldbesteck und Kristallgläsern gedeckt war. In jeder Ecke des Saales standen Bedienstete, die uns mit grossen Fächern aus Pfauenfedern Luft zufächelten, während weiss behandschuhte Inder als Butler in Reih und Glied wie übergrosse Nussknacker dastanden. Neben unserer kleinen Expeditionsgruppe waren auch noch andere britische Offiziere und deren Gattinen anwesend, welche dem ganzen Weihnachtsfest doch noch eine etwas charmante Note zu verleihen vermochten.

Der Zauber eines indischen Gastmahls für uns Briten liegt zweifellos an der Farbigkeit und der Präsentation der Gerichte wie auch an der geschmacklichen Herausforderung, unserer, von der englischen Küche gelangweilten, Zunge etwas Neues zu erschliessen. Und genau das geschah an diesem Abend.

Zuerst gab es einen pochierten Kabejau auf einem Rote-Beete-Kuchen mit Kasundi-Senf und gebratenen Langustenschwänzen, begleitet von einer Koriandermayonnaise.

Dann wurden uns auf Holzkohle gegrillte Rebhuhnschenkel mit einem Chutney aus gedörrten Mangos, Erdnüssen und Heidelbeeren serviert.

Als dritte Vorspeise lockten im Tandoori gemachte Gemüse mit zerstossenen Meerrettichsamen, was nicht nur unsere Sinne, sondern auch unsere Nasen befreite.

Als erste Hauptspeise erwartete uns zuerst ein Lammcurry mit schwarzen Linsen und Reis, der mit Gewürzen und Hölzern geräucht wurde.

Dann wurde uns als zweite Hauptspeise auch noch ein Seeteufel mit Limonenreis an einer Mango- und Koriandersauce serviert.

Zweifelsohne hatte sich Sir John Collins damit nicht lumpen lassen und uns ein Abendessen zu Weihnachten beschert, das wie indische Tänzerinnen durch unsere wildesten Fantasien tanzte. Aber es lehrte uns auch Achtung und Demut vor einem Land, dass wir zwar erobert, aber irgendwie doch nie in seiner Komplexität und Vielfalt verstanden haben.

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