Samstag, 30. November 2013

Fisch essen Seele auf



Als ich 1971 Rainer das erste Mal traf, war ich gerade in München, wo ich für meinen Arbeitgeber, das Seidenhaus Abraham in Zürich, ein paar Recherchearbeiten zu erledigen hatte. Zumsteg, mein Chef, hatte mich damit beauftragt, Dirndl-Schneider zu besuchen und Fotos von deren neusten Stoffkreationen zu machen, weil ihm irgendwas ‚Alpenländisches’ als Idee im Kopf herumschwirrte, dass er mit Saint-Laurent im nächsten Monat besprechen wollte.

Es war im Hotel Deutsche Eiche, wo ich zu Mittag ass und gerade ein Stück Schweinebraten auf der Gabel in den Mund schob, als sich Rainer alleine an den Tisch neben mir sass und mich von Beginn weg unverhohlen beim Essen beobachtete. Da ich Fassbinder von ein paar Fernsehinterviews her kannte, fühlte ich mich etwas irritiert, aber auch geschmeichelt. Denn offensichtlich schien ich gerade die absolute Aufmerksamkeit des aufsteigenden Sterns und Enfant terrible des Deutschen Films zu erhalten. Also lächelte ich zurück und hielt seinem Blick stand. Schnitt.

Als Rainer mich zwei Jahre, ein paar Liebesnächte und einige gemeinsamen Besäufnisse später in Zürich besuchte, um zwei Tage einfach mal weg zu sein, schlenderten wir durchs Niederdorf zu Bianchi, dem wunderbaren Delikatessengeschäft an der Marktgasse, wo ich für ein gemeinsames Nachtessen zu Hause etwas geräucherten Lachs und eine dicke Scheibe Sashimi-Thon kaufen wollte. Während wir warteten, bis die Reihe an uns war, stand Rainer wie ein kleines staunendes Kind da und betrachtete die gerupften Wachteln, Enten, Rebhühner und Poulets in der Auslage. Dann murmelte er halblaut vor sich hin: „Was diese Viecher wohl vom modernen Theater halten?“ Schnitt.

Wir sitzen beide bei mir zu Hause am grossen Holztisch und geniessen den in kleine Stücke geschnittenen Sashimi-Thon, welchen ich mit Olivenöl und Fleur-du-sel etwas mariniert habe, dazu ein Bürlibrot und eine Flasche Château Lafaurie-Peyraguey, einen herrlich goldenen Sauternes von 1966, der etwas nach Ziege, Leder und Honig roch, aber auf der Zunge ein einziges süsses Versprechen war. In meinem Kopf kreiste die Kamera von Michael Ballhaus im Kreis um uns herum – eine Technik, die er notabene bei einem Film von Fassbinder das erste Mal eingesetzt hatte und wegen der er unter anderem auch später zu einem der bedeutendsten Kameramänner der Filmbranche avancierte –, während Rainer und ich uns lächelnd ansahen, weil wir wussten, dass wir die Wohnung heute nicht mehr verlassen würden. Schnitt.

Rainer und ich liegen nebeneinander im Bett und blicken an die Decke. Dann blicke ich ihn an und sage leise: „Du lebst zu schnell. Ich mag dich sehr. Du bist für mich der wunderbarste und sonderbarste Mensch, den ich kenne. Unberechenbar, kalt und liebevoll zugleich. Du bist ein Zuviel von allem. Ein Chaos, ein Wrack, ein alter Baum. Ein verletztes Kind und eine ausgelesene Bibliothek. Und ich...ich bin der, der hier gerade zu viel redet.“ Schnitt.

Paris, 1983. Ingrid Caven und ich sitzen in der Brasserie Lipp, trinken einen kühlen Sancerre und essen dazu Saumon fumé. Rainer ist schon etwas mehr als ein Jahr tot. Und obwohl ich ihn nach seinem Besuch vor 10 Jahren in Zürich nur noch zwei Mal gesehen habe, fehlte er mir unendlich. Ingrid, die Anfang der 70er mit Rainer etwas mehr als zwei Jahre verheiratet war, lernte ich erst später über unseren gemeinsamen Freund Yves Saint-Laurent kennen, der schon über zwei Jahrzehnte ein Kunde von uns war und der für Ingrids Konzerte ein grandioses Kleid entworfen hatte. Ingrid und ich hatten uns bei einer Party bei Yves sofort verstanden; und dass wir beide mit Rainer einmal in einer Beziehung standen, hatte uns auf eine eigenartige Weise verbunden. 

„Weisst du,“ sagte ich zu Ingrid, „jedes Mal, wenn ich rohen oder geräuchten Fisch esse, muss ich an Rainer denken. Erotisch auf der Zunge, aber in Händen halten konnte man ihn nicht.“

Ingrid sah mich ganz perplex an, prustete dann aber los und lachte aus vollen Herzen. Und auch ich lachte aus vollem Herzen. Bis uns die Tränen kamen. Bis wir um Rainer weinten. Lachend und heulend. Elend und glücklich. Traurig und befreit.

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