Donnerstag, 14. November 2013

Aussteiger-Risotto im Calancatal



Santa Maria war der perfekte Ort für die beiden. Nachdem Rösli und Franz, die sich jetzt Bella und Francesco nannten, dem bünzligen Amriswil den Rücken gekehrt hatten, um dem kapitalistischen Lebensentwurf der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen, fanden sie hier im Calancatal ein baufälliges Haus, das sie für 120 Franken im Monat mieten und Rustico nennen konnten. Hier war alles möglich. Selbstversorgung, Kommune, Spiritualität, Transzendenz und etwas Hanf im Garten.

Der gelernte Buchdrucker und die Kindergärtnerin wollten eine Familie gründen, die auf anderen Grundsätzen aufbaute, als jene, die sie selber in den Sechzigerjahren von ihren Eltern mitbekommen hatten. Dazu gehörten neben ein bisschen Marx, den sie nie gelesen hatten, auch Che Guevara und ein leicht zerbeulter Deux-Chevaux. Mit diesem konnte Francesco nach Roveredo pendeln, wo er einem schlechtbezahlten Job als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle nachging, den er einem deutlich besseren Angebot von einer kleinen Druckerei vorgezogen hatte. Doch Aussteiger, so seine Begründung für diesen Entscheid, konnte man sich ja nicht nennen, wenn man das Gleiche einfach an einem anderen Ort tat. Und bis das mit der Selbstversorgung dann auch wirklich selbsttragend werden würde, müsste eben doch noch etwas Stutz reinkommen. Man hatte ja auch Hunger.

Es war ein garstiger Oktoberabend, der doch tatsächlich schon den ersten Schnee gebracht hatte, als Bella mit ihrem feurigen und mit Henna gefärbten Haar tänzelnd vor dem Herd stand und in einem Risotto rührte. Im Hintergrund tourte eine LP von Marco Zappa auf dem Plattenspieler und lies das Lied „Pago tutto io“ in die kühle Kammer aufsteigen. Nichtsdestotrotz hüpfte Bella barfuss auf dem Holzboden hin und her, hielt in der linken Hand eine glühende Bidi und war einfach nur glücklich. Denn während Franz, sorry Francesco, heute wohl den ganzen Tag unzählige Schubkarren mit Flüssigbeton herumschippern musste, hatte sie sämtliche weisse Hemden und langen Röcke, die sie letzte Woche im Caritasladen in Zürich gekauft hatten, erfolgreich gefärbt, so dass nun die beiden oberen Kammern voller violetter Kleider hingen. Ja, man zeigte Flagge.

Doch nicht nur das machte sie glücklich. Sondern auch der Risotto vor ihr, der wegen dem Rotwein selber auch schon eine violette Farbe angenommen hatte. Ein violetter Tag. War das nicht eine Art Bestimmung? Bella sinnierte kurz darüber nach, lächelte und rührte dann wieder in dem Brei, der eigentlich schon seit 10 Minuten seine optimale Garzeit erreicht hatte. Aber noch etwas Violett, sprich Rotwein, konnte ja nicht schaden, hihi...und so gab sie noch einen kleinen Schluck von dem billigsten Merlot, den man im Dorf kaufen konnte, hinein.

Als fünf Minuten später Francesco durchgefroren durch die Tür trat und vor sich hinfluchte, weil er sich immer noch nicht an die Handschaltung des Deux-Chevauxs gewöhnt hatte, lachte Bella schon ganz benommen vor sich hin, als ob sie sturzbetrunken wäre.

„Hey Babe, was ist denn mit dir los“, fragte er etwas lächelnd und doch auch ein wenig beunruhigt.

„Fraaaaaancesco, ich liebe dich. Und ich habe soooooo gut für dich gekocht. Der Risotto ist einfach ein Wahnsinn“, stammelte Bella vor sich hin und lächelte ihn dabei wirr an.

„Was ist denn im Risotto drin?“, fragte Francesco.

„Im Risotto“, fragte Bella jetzt kurz verdutzt und fuhr dann fort, „was soll da denn drin sein? Hihihi. Rotwein, Peperoni, Zwiebeln, Bouillon, Petersilie und dann noch von dem Maggikraut, dass du im Garten gepflanzt hast. Du weisst doch, das mit diesen komischen Blättern. Du hast mir zwar gesagt, dass ich es nicht fürs Kochen brauchen sollte, aber irgendwie fand ich dann das doch schade.“

Francesco wurde ganz bleich. Und fragte dann Bella: „Und wie viel hast du davon reingetan?“

„Ach Schätzchen, keine Sorge, ich glaub genug.“

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