Dienstag, 20. Mai 2014

Wenn Domenico malt



Was erleben wir, wenn wir in Museen gehen und uns der Kunst aussetzen? Betrachten wir die Bilder mit innerer Bewegtheit? Betrachten wir uns selbst beim Betrachten mit dem Stolz des Bildungsbürgers? Betrachten wir die Jahre oder gar die Jahrhunderte, die seit der Entstehung der Bilder vergangen sind? Betrachten wir die Geschichte oder das Konzept, die hinter einem Bild stecken? Oder betrachten wir einfach nur die anderen Besucher beim Betrachten der Bilder und fragen uns, was das Betrachten bei ihnen auslösen mag? Was erleben wir, wenn wir uns an einen Ort bewegen, wo ein jeder ein Kenner, ein Amateur oder ein Hochstapler sein kann?

Domenico fragte sich solche Dinge unentwegt. Als Beobachter, der seine voyeuristischen Seiten schon sehr früh entdeckt hatte, war er darauf konditioniert, alles, was um ihn herum geschah, wahrzunehmen und zu analysieren. Das geschah keineswegs mit der berechnenden Nüchternheit eines Kommissars oder eines Meisterdetektivs, um eine lösungsorientierte Situationsanalyse vorzunehmen. Sondern es geschah vor allem aus Empathie für die um ihn herumstehenden Menschen, die er mit kindlicher Neugier beobachtete, als seien diese putzige Koalas, die irgendwie hilflos, aber doch zufrieden in Eucalyptusbäumen hingen und darauf warteten, bis etwas passierte.

Kunst ist in dieser Hinsicht ja sehr dankbar. Denn irgendwie kann ein jeder seine Meinung dazu haben, ohne dass man diese zu teilen braucht. Im Gegenteil: je kontroverser ein Gemälde oder eine Skulptur besprochen werden, detso mehr Spass macht es. Hier wird die Auseinandersetzung und das Konträre zum verbindenden Element, mit dem man sich in einer selbstgefälligen Wohlfühlzone einnisten kann. Kunst ist ein Tummelplatz, um die eigenen Weltanschauungen als Trittbrettfahrer auf eine höhere Bedeutungsebene zu bugsieren, indem man sich mit einem Werk, einem Künstler, einer Stilrichtung oder einer Denkart solidarisiert. Man muss den Menschen dafür einfach etwas bieten. Und genau das war das Rezept von Domenico.

Als er vor sieben Jahren sein kleines Restaurant eröffnet hatte, war ihm daran gelegen, dass seine Gerichte eine Geschichte erzählten. Ein Menü bestand nicht einfach aus Vorspeise, Hauptspeise und Dessert, sondern war ein in sich stimmiges Triptychon. Darin spiegelte sich ein Thema, eine Epoche, eine Region oder ein Gefühl. Ein Gefühl? Ja, genau das. Denn Domenico war nicht einfach ein selbsternannter Künstler, sondern ein wahrhaftiger, der mit seiner Küche ein Lächeln aufs Gesicht zaubern konnte. Er konnte auch zu Tränen rühren oder seine Gäste sprichwörtlich den Atem anhalten lassen, weil seine Kompositionen die Menschen staunen liess. 

Und wenn dann der Meister selbst aus der Küche in die Gaststube trat, konnte er sehen, dass seine Gäste genau das in seiner Kochkunst sahen, was sie vielleicht auch in den Bildern in den Museen zu sehen vermochten: Das Schaffen neuer Emotionen, das Sprengen von Grenzen, das Erkunden von neuen Territorien, das Zulassen von neuen Gedanken. Vielleicht etwas pathetisch, aber trotzdem nicht weniger war. Und mit frischen Morcheln sogar richtig fein.

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