Dienstag, 25. Juni 2013

E la nave va – Fellini in brodo

Hoppla, wie kitzelte uns dieser wunderbare Moscato d’Asti doch in der Nase, glitt dann wie ein kleines süsses Mini-Schlauchboot den Gaumen hinunter, um uns dann schliesslich mit einem sehnsüchtigen Blick zurückzulassen.

Wir sassen hier auf einem Ozeandampfer, inmitten des Piemonts, und betrachteten im Speisesaal sitzend die vorbeischlendernden Passagiere. Die Gestrandeten der italienischen Haut-Volée schritten wie gerupfte Paradiesvögel langsam an ihre Tische, während die Kellner einen diskreten Bückling machten. Ich blickte mich, darüber etwas leicht irritiert, um und zuckte dann plötzlich erschrocken zusammen. Denn hinter uns sass in einer Ecke Federico Fellini auf seinem Regiestuhl. Wow, 20 Jahre tot und immer noch so fit? Sprachlos blickte ich ihm direkt in die Augen und wollte ihm tausend Fragen stellen. Doch er fuchtelte mir nur mit den Armen entgegen und bedeutete mir, jetzt nicht aus der Rolle zu fallen und die Szene zu Ende zu spielen. War ich jetzt ein Star?


Als wir uns bereits an das leise Summen der Kamera im Rücken gewöhnt hatten und uns über einen Teller „Tajarin al ragu“ neigten, betraten ein paar einheimische Intellektuelle in eigenwilliger Verkleidung den Speisesaal. Und plötzlich wurde mir vollkommen klar, warum Fellini im Raum sitzen musste. Denn das Wachsfigurenkabinett seiner Filme war ebenfalls zum Leben erwacht und hatte seine bizarrsten Persönlichkeiten zu uns bestellt. Und sie waren alle gekommen. Der junge blondierte Modedesigner in Begleitung seiner Freundin, die ein übergrosses Tattoo auf dem Nacken zur Schau stellte, das wiederum wie ein Sudoku aussah, bei dem noch ein paar Primzahlen fehlten. Eine Sphinx, mit ebenmässigem, fast olivgrünem Gesicht und weit auseinanderliegenden Augen, die mich an einen Hammerhai erinnerten. Zwei junge Männer, offensichtlich ein Liebespaar, die einen japsenden Bichon Frisé an der Leine hinter sich her zogen. Und schliesslich ein älterer Herr mit wirrer Lockenpracht, die ziemlich schütter bis zu seinen Schultern fiel und davon erzählte, dass er einmal vor 30 Jahren ein sehr dünnes Gedichtband geschrieben haben mochte. Es handelte sich zweifelsohne um ein sehr illustres Grüppchen, das den ganzen Speisesaal mit der Aura des Tragikomischen für sich vereinnahmte. Nicht unsympathisch, aber völlig bizarr und bis zur Unerträglichkeit klischiert. Damit noch nicht genug, begann der ältere Herr mit dem schütteren Haar den ganzen Abend lang im Restaurant herumzuspazieren, als wäre dieses sein kleines Privatmuseum. Es fehlte also nur noch das Nashorn und Fellinis spätes Meisterwerk hätte hier eine neue Auflage erhalten.

Doch das Nashorn kam nicht, dafür aber die Frau des Besitzers mit ihrem hübschen ältesten Sohn, der im Restaurant der Eltern als Kellner arbeitete. Eine Bacchus-Erscheinung, die, wie aus einem Caravaggio-Bild entsprungen, nicht nur umwerfend aussah, sondern das auch durchaus zu wissen schien. Es war ein Auftritt wie in einer Zirkusmanege, welcher durch Pauken, Trompeten und Trommelwirbel begleitet wurde. Mutter und Sohn als Artisten, deren Verhältnis etwas Rührendes hatte. Und auch etwas Griechisches, denn es schwang Stolz und Liebe mit; und eine unendliche Sehnsucht nach der eigenen Jugend und nach allem, was begehrenswert und doch unantastbar zu sein schien. Was uns hier präsentiert wurde, war ein Augenfest von fellinesker Grossartigkeit, das uns nachhaltig vergessen liess, was wir sonst noch auf unseren Tellern serviert bekommen hatten. Was uns wiederum zur Erkenntnis führte, dass das wohl nicht so grossartig gewesen sein konnte oder dem dargebotenen Schauspiel einfach nicht zu gereichen vermochte. 

Als wir dann zwei Stunden später diesen Ozeandampfer verliessen, lächelte uns ein fast runder Mond entgegen und begann ein fröhliches Seemannslied zu singen. Fellini hatte das Schiff schon längst verlassen. Und irgendwo draussen in den Hügeln hörten wir das Schnauben und Stampfen eines wildgewordenen Nashornes. Giardino da Felicin, flüsterte ich leise lächelnd, was ist nur aus dir geworden? Und danke Fellini, dass du uns den Abend doch so unvergesslich gemacht hast.

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