Freitag, 21. Juni 2013

Marie-Antoinette auf Erdbeere

In leichter Panik halten sich die Strumpfbänder an den prallen Oberschenkeln der Damen fest und beten ein Ave Maria, auf dass sie den Abend heil überstehen und ihren Trägerinnen jegliche Peinlichkeit für ein paar Stunden zu ersparen vermögen. Denn ein Strumpfband zu sein, ist nicht die einfachste Sache der Welt. Auch wenn die Tatsache, dass man dieses Schicksal in aller Regel paarweise zu teilen pflegt, etwas darüber hinwegzutäuschen vermöchte. Aber auch geteiltes Leid ist eben halt immer noch Leid. Und gerade heute wäre ein Versagen fatal, ja, gänzlich unerwünscht. Denn heute, so sagt man, wird sie kommen. Marie-Antoinette.

Derweil glänzt das Parkett im Schein der tausend Kerzen und die Musiker bewegen sich mit einer inneren Aufgeregtheit auf den knarrenden Sesseln hin und her, um in ein paar Augenblicken zu einer luftigen Allemande aufzuspielen, zu der die Damen und Herren auf High Heels und mit gepuderten Perücken über den Nussbaumsee gleiten. Auch wir können es kaum erwarten.

Et voilà. Zum Auftakt serviert man uns eine wunderbare, leicht angebratene Entenleberscheibe, die liebevoll mit einem frischen Brioche, Tomatenkonfitüre, Nüsslisalat und knusprig gebratener Coppa zu einem kleinen Turm aufgebaut wurde. Was für eine Ouvertüre.

Während vor dem Fenster das Gelächter der vorbeigehenden Leute und die Flüche der Kutscher zu hören sind, tippen am Nebentisch ein paar Japaner virtuos auf ihrem Smartphone herum, machen ein paar Schnappschüsse und kichern stets mit dem Kopf nickend vor sich hin. Doch meine Begleitung und ich sitzen gerade etwas mehr als zweihundert Jahre früher daneben und haben ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht.

Als Hauptspeise werden zart-rosa gebratene Lammkoteletten auf einem Knoblauch-Kartoffelstock mit frischen Erbsen serviert. Ein wunderbar würziger Kontrast zu der eleganten Vorspeise. Hier liegt die Provence mit ihren ländlichen Geschmäckern, einem Hauch Rosmarin, einer Prise Fleur de Sel, unprätentiös vor uns auf dem Teller. Eine Landschaft, die auf der Zunge vergeht und dabei doch noch etwas von ihrer Wildheit bewahren konnte.

Auf dem Parkett hat sich das Drehen, Wenden, Hopsen und Hüpfen zu einem trägen Umherschlendern verwandelt. Man betreibt jetzt höfische Konversation, lächelt hinter fein bemalten Fächern hervor und streicht sich mit einem parfümierten Tüchlein sehr lasziv über das vom Tanz errötete Dekolleté. Die Spannung ist durchaus mit den Händen zu greifen. Und dann ist es endlich soweit. Marie-Antoinette schreitet in den Saal, als würde sie ein Hochzeitskleid von Vivienne Westwood auf dem Catwalk präsentieren. 

Das Dessert, eine „Verrine de Fraise et crème de Mascarpone avec Spéculos“, ist eine fruchtig-frische Verführung, die ihre süssen Geheimnisse erst allmählich in unser Ohr flüstert. Eine Anmerkung zuerst, dann ein Gerücht und schliesslich die absolute, sich offenbarende Wahrheit. Es ist Marie-Antoinette die zu uns spricht, warm und vertrauensvoll, entspannt und fröhlich. Denn schliesslich ist die Revolution schon mehr als zweihundert Jahre Vergangenheit. Was zählt, ist das Jetzt. Und Annie Leibovitz, die gerade noch die letzten Anweisungen gibt, bevor sie auf den Auslöser drückt und das Bild unseres Abendessens für die Vogue verewigt.

(Foto: Annie Leibovitz für Vogue)

Lavault – 24 Rue felibre Gaut – 13100 Aix en Provence

http://lavaultrestaurant.wix.com/fred

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