Sonntag, 4. August 2013

Mit dem Sonnenkönig auf dem roten Sofa


























Ich hatte mich mit Louis XIV. zum Abendessen verabredet und wartete auf dem Boulevard Saint-Germain in einem Café auf ihn. Und obwohl sich sein Todestag bald schon zum dreihundertsten Mal jähren würde, kam er mir bei unserer letzten Begegnung sehr lebendig vor. Irgendwie schaffen es die Reichen und Berühmten dieser Welt eben doch, nicht nur in die Geschichte einzugehen, sondern sie auch zu überleben. Und man muss es zugeben, er hat sich ganz gut gehalten. Tja: L’Oreal. Weil wir es uns wert sind.

Gerade hatte ich mein Glas Sancerre zu Ende genippt, als Louis in seiner ganzen Pracht vor mir stand und mir süffisant lächelnd und mit einem kleinen Anflug royaler Arroganz, die ein Monarch einfach an den Tag zu legen hatte, die Hände entgegen streckte, in der Erwartung, dass ich diese küssen würde. Aber daraus wurde natürlich nichts. „Louis, ich habe dir das letzte Mal schon gesagt, dass man das heute nicht mehr macht.“ Also zog er diese mit dem zu einem kleinen Schnütchen verzogenen Mund wieder zurück und wandte sich um eine Vierteldrehung von mir ab, um mir damit zu bedeuten, dass er jetzt gerne diesen Ort verlassen würde. Ich legte einen Zehn-Euro-Schein auf das kleine Tellerchen und folgte dem Sonnenkönig, der auf seinen High Heels davon stolzierte und in seiner Aufmachung aussah, wie eine etwas gar pompös aufgedonnerte Drag Queen. Doch schliesslich befanden wir uns ja in Paris und neben all den Möchtegern-Künstlern, Galeristen, Modeschöpfern, Chansoniers, Parfümeurs und Filmsternchen mochte man da wohl auch noch einen toten Monarchen dulden. Das Fussvolk interessierte uns nicht.

Zwischen den Marktständen der Rue de Seine und der Rue de Buci schritten Louis und ich flott der Rue Saint-André des Arts entgegen, wo wir im ‚Chez Allard’ etwas Kleines essen wollten. Dort angekommen, setzten wir uns nebeneinander auf eine rote Sitzbank, so dass wir den kleinen Raum vor uns liegen hatten. Als König war er es natürlich gewohnt, dass sich alle anderen vor ihm und unterhalb von ihm zu bewegen hatten; doch unsere Freundschaft, die jetzt gerade mal zwei Wochen bestand, schien mir die Berechtigung zu geben, mich als gleichwertige Person neben ihn zu setzen. 

„Christian, ich habe schon zu meiner Zeit gesagt, dass man nicht nur mit der Zeit gehen, sondern ihr auch voraus sein sollte“, murmelte er jovial in mein rechtes Ohr, um meine kleine Unverschämtheit zu quittieren, und fügte sogleich hinzu, „du darfst dich also gerne neben mich setzen“. Was will man tun? Man muss eben einen König im Glauben lassen, dass er selbst 298 Jahre nach seinem Tod noch Machtansprüche stellen könnte.

„Und Louis, was willst du heute essen?“, fragte ich ihn, als hätte ich seine kleine Herablassung gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

„Alors, ich denke, man möge mir etwas Foie gras und eine Wachtel servieren. Und wonach steht dir der Sinn, mein Lieber?“

„Ich werde mich für die Nieren entscheiden“, sagte ich ganz beiläufig und freute mich jetzt schon auf dieses fein gebratene Stück Innenlebens eines Kalbes, das hier am Stück serviert wird.

„Mon Dieu, Christian. Was bist du doch für ein Bourgeois!“, rief seine Majestät theatralisch in den Raum.

Und ich mochte ihm da nicht widersprechen. Denn wo er recht hat, hat er recht.


Restaurant Allard, 41 Rue Saint-André des Arts, 75006 Paris

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