Dienstag, 24. September 2013

Das Linsengericht zu Casablanca



Es war im Jahre 1942, als ich für die amerikanische OSS (Office of Strategic Services) in Marokko stationiert war, und dort sowohl in Tanger wie auch in Casablanca je ein wunderbares Stadthaus bewohnte. Beide Anwesen waren mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, so dass ich mit prunkvollen und verschwenderischen Parties Gäste empfangen konnte, um diese dann nach Strich und Faden auszuspionieren. Offiziell galt ich als junger und reicher Fabrikantensohn aus dem mittleren Westen, dessen Eltern es mit Stahl zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht hatten. In Wirklichkeit aber war ich einfach ein ziemlich mittelloser Kellner gewesen, der sich in Los Angelos durch die Schlafzimmer der reichen Schwulenszene geschlafen hatte.

Als mich in einem ebensolchen Schlafzimmer der stinkreiche Jack McMurphy einmal fragte, ob ich Lust hätte, auf die gleiche Weise in Nordafrika dem Vaterland zu dienen, war nicht nur mein naiver Abenteurersinn geweckt worden, sondern auch die Sehnsucht nach einer anderen Kultur – und nicht zuletzt auch die Aussicht auf eine Gelegenheit, die mir, für damalige Zeiten, ein sehr luxuriöses Leben versprach. So landete ich als Edelstricher an der Meeresenge von Gibraltar und führte ein nicht ungefährliches, aber dennoch angenehmes Leben als schwules Herrensöhnchen, der sich deutschen Offizieren und Agenten anzudienen hatte. 

Da ich jahrelange Erfahrungen als Flittchen hatte, das seine Dienste fast nur in den vornehmsten Villen des Sunset Boulevards anbot, nahm man mir den reichen Lebemann ohne weiteres ab. Denn ich konnte bezirzen, schamlos lügen und hatte eine Moralvorstellung, die so tief unter der Gürtellinie lag, dass man diese von blossem Auge wohl nicht erkennen konnte. Doch neben diesen allzu menschlichen Fähigkeiten hatte ich auch ein wirkliches Talent anzubieten: Ich konnte kochen. Und das sprach sich sehr schnell herum.

Am 5. August 1942 hatte ich einen deutschen Spion mit dem Namen Otto von Pfannkuchen in einer zwielichtigen Bar kennengelernt, der auf unüblich leichte Weise zu verführen war. 

Geheimagenten-Dialog anno 1942:
Otto von Pfannkuchen: „Na mein Hübscher. Wie wär es mit etwas Scharfem?“
Ich: „Gekocht, eingelegt oder flachgelegt?“ 

Kaum zu Hause angekommen, begaben wir uns zuerst in die Pfanne und dann in die Küche, wo ich uns ein kleines Linsengericht zubereitete, nach dessen Genuss Otto von Pfannkuchen mir aller Wahrscheinlichkeit nach alle wichtigen Informationen bereitwillig geben würde. Denn zu den roten Linsen gab ich etwas Stechapfel hinzu, was als Halluziogen eine wirklich hervorragende Wirkung zeitigte – aber bei ungenauer Dosierung ebenso tödlich sein konnte. Dann applizierte ich auf die Linsen einen Löffel Crème fraîche, die hier wirklich nicht leicht zu bekommen war, setzte einen Tupfer Sambal darauf, und krönte das Ganze mit in Knoblauch gebratenen Langustenschwänzen, was insgesamt eine überaus delikate Kombination darstellte.

Nachdem wir beide das Essen genossen hatten – ich meinerseits natürlich ohne die Variante mit dem Stechapfel –, plauderte Otto von Pfannkuchen alle seine Geheimnisse wie ein kleines unschuldiges Kind aus. Seine unerwiderte Liebe zum Führer, seine erotischen Träume über Mussolini, seine privaten Körperertüchtigungen mit ein paar Strebern der Hitlerjugend sowie das Bekenntnis, dass Männer in Kampfstiefeln – eigentlich die ganze deutsche Wehrmacht – ihn beinahe um den Verstand bringen würden. Mit anderen Worten, genau das, was niemanden bei der OSS interessieren würde. In diesem Fall half nur noch eines: mehr Stechapfel.

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