Sonntag, 26. Januar 2014

Ein Engel schwebt über Singapur



Wir sassen auf einer Veranda und blickten in die dämmernde Nacht über die Wolkenkratzer hinaus auf das ruhige Meer. Die Lichter der Stadt glühten wie Millionen Augen und spiegelten sich im Wasser. Der vor uns liegende tropische Garten war erfüllt von Vogelstimmen und einer Ruhe, als hätte man bei einem Film den Ton leiser gestellt. Es war ein Mix aus Geräuschen und Stille; ein Weben, ein Rauschen, ein Klang, ein Nichts und ein Alles.

Als Karan, ein indischer Freund und Spitzenkoch, uns einen Teller mit einem kleinen salzigen Strudel hinstellte, wussten wir noch nicht, dass wir gleich einen Engel sehen würden. Doch als wir den ersten Bissen nahmen und der Geschmack von gebratenem und raffiniert gewürztem Lammfleisch sich unserer Zunge bemächtigte, erwachte in uns eine Welt, die fantastische Bilder als Projektionen in den Nachthimmel warf. Und als wir dann noch die dazu gereichten Schälchen mit unterschiedlich aromatisiertem Joghurt (Aloe vera, Zitronengrass, Pfefferminze und Olivenöl) probierten, wirkte die Verbindung mit dem Lammfleischstrudel wie ein Opiat. Und da sahen wir ihn: den Engel.

Es war ein glänzender Himmelsbote, der mich mit seinen Blautönen an Delfter Porzellan erinnerte. Ein lachendes Kind mit Flügeln, der schwebend über unseren Köpfen kleine Kapriolen vollführte und dabei mit einer hohen Mädchenstimme geheimnisvolle Lieder sang, die sich wie die Hits von CocoRosie anhörten. Es war ein synästhetisches Erlebnis, das mich und meine Frau mit weit aufgerissenen Augen einfach staunen liess. Wieder hatten wir die Kochkunst von Karan neu entdeckt. Wieder hatte er uns verzaubert. Wieder hatte er uns seine Freundschaft auf eine unvergessliche Art angeboten. Und wieder sassen wir wie kleine Elefantenkälber in unseren Sesseln und staunten, als würden wir zum ersten Mal in unserem Leben die Sterne sehen.

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