Mittwoch, 15. Januar 2014

Fisch- statt Computermenü



Königin Christina von Schweden und ich kamen gerade aus einer Vorstellung des Covent Garden, in dem unter der Leitung von John Eliot Gardiner ‚Le nozze di Figaro’ gegeben wurde. Von der Anmut der Musik und dem Wohlklang der Stimmen noch tief berührt, wandelte die Frau mit der langen krummen Nase und ihrem dunkel gewellten Haar, das mit einem einfallslosen Mittelscheitel mehr schlecht als recht in Form gebracht wurde, lächelnd neben mir her. Und obwohl ich sie gebeten hatte, doch etwas Modernes anzuziehen, bestand sie darauf, in einem dunklen barocken Kleid zu erscheinen, das sie schon vor 350 Jahren getragen hatte. Sie war schliesslich einmal Königin gewesen. Und Konvertitin. Und unverheiratet – bis zu ihrem Tod. Und man dürfe diese Geschichte, ihre Geschichte, ruhig an der Art der Kleidung erkennen. Nun, als einfacher Bürger im 21. Jahrhundert und ohne adligen Hintergrund hatte ich da natürlich nicht viel entgegenzuhalten vermocht und sah ihr deshalb diesen etwas eigenartigen Aufzug nach.

„Wollen wir ein Taxi nehmen?“, fragte ich Christina. „Das Restaurant liegt nicht gerade in der Nähe und ich möchte nicht, dass du dir die Kleider schmutzig machst.“

Christina sah mich mit grossen Augen an und fragte mich: „Was ist ein Taxi?“

„Aber Christina, habe ich dir nicht gesagt, du solltest dich etwas schlau machen über unsere Zeit? Es ist nicht ungefährlich, wenn du dich in einer fremden Welt bewegst und nichts über sie weisst. Du bist ja immerhin schon über 300 Jahre tot. Ein Taxi ist so ein Gefährt mit einem Licht auf dem Dach, das dich gegen Bezahlung überall hinbringt.“

„Ich bezahle doch nichts dafür, dass mich einer irgendwo hinbringt“, empörte sich die ehemalige Königin von Schweden und fuhr fort, „und ich wollte mich ja schlau machen, wie du das nennst, aber dieses Ding, das Internetz, hat mir nicht geantwortet, als ich ihm Fragen gestellt habe. Da habe ich es verbannt.“

Ich begriff, dass ich sie mit der modernen Technik völlig überfordert hatte, als ich sie vor drei Tagen vor einen Computer setzte und ihr erklärte, dass sie mit der Tastatur Worte eingeben und so Antworten erhalten konnte. Was war ich doch selber für ein Naivling gewesen.

Aber was musste gerade auch mir diese Frau über den Weg laufen, als ich vor vier Tagen im Harrods vor der Fischauslage nach einer Dorade Ausschau hielt. Sie war an mich herangetreten und hatte mir mit klaren Worten zu verstehen gegeben, was Sache ist: „Ich bin Christina von Schweden, ich war Königin, bin seit 324 Jahren tot und ich habe weiss Gott genug Geld, um hier diesen ganzen Laden zu kaufen. Aber ich weiss nicht, wie man das macht. Ihr müsst mir helfen.“

Da ich mich letztes Jahr in Paris schon mal mit dem Sonnenkönig, Louis XIV. zu einem Mittagessen verabredet hatte, war ich erstaunlich unerstaunt über diese Erscheinung, lächelte diese barocke Erscheinung an und anerbot mich, ihr tatsächlich behilflich zu sein, ganz so, als hätte ich ihren auffordernden Ton gar nicht erst gehört.

So kam es, dass ich Christina ein umfangreiches Update über die letzten 324 Jahre gab, ihr erzählte, wer gerade in Schweden auf dem Thron sass (Und diese Silvia ist tatsächlich eine Bürgerliche?) und welche Regeln heutzutage eine moderne Gesellschaft ausmachten. Und da sie nebst ein paar wenigen Fragen zu all diesen Neuigkeiten nur kühl die Schultern zuckte, beschloss ich, dass ich es – nach einem kleinen Briefing – wagen konnte, mit ihr die Oper am Covent Garden und anschliessend ein feines Fischrestaurant zu besuchen.

Als wir 20 Minuten später im Restaurant vor der Speisekarte sassen, war Christina wieder ganz die alte Königin und meinte, dass es sehr originell vom Koch sei, alles, was ihr gleich serviert werden würde, auch aufzuschreiben. Als ich ihr dann aber sagte, dass es nicht die Reihenfolge, sondern nur eine Auswahl dessen war, was wir essen würden, hob sie etwas enttäuscht die Augenbrauen und quittierte dies mit einem langgezogenen und durchaus Unverständnis vermittelnden „Okay.“ Dann seufzte sie und sagte: „Dann lass mich wenigstens die Wahl treffen.“

Was isst eigentlich so eine Königin? Wollen Sie es wirklich wissen? Nun gut, Sie haben es so gewollt.

Zuerst servierte man uns eine mit Sauce Bernaise-Schaum überbackene Auster mit einer kleinen Kaviarkrokette. Dann folgte ein Tartar von Thuna auf durch Wasabimilch gezogene Buchweizennudeln. Ein pochiertes Ei in einem Zitronenjoghurt mit Lachsrogen. Und geräuchter Aal auf Rote Beete Chips mit dem entsprechenden Salat (eine hauchdünne Scheibe mit einem Tropfen Aceto Balsamico). Zur Hauptspeise gab es eine einfach gebratene ganze Seezunge mit Kartoffelperlen auf Petersilienschaum und Limoneneis im Glas.

Als Christina dann auch noch eine Auswahl an Desserts bestellen wollte, musste ich insistieren und ihr auf diplomatische Art klar machen, dass ich mich leider nicht mehr imstande sah, auch nur schon eine leere Gabel in meinen Mund zu stecken. Woraufhin sie mir die Kapitulation zugestand und nur noch für sich einen Panna cotta auf einem Waldbeerenspiegel (Coulis) bestellte.

Ja, man konnte tatsächlich sagen, dass Christina, Königin von Schweden, Konvertitin, Eroberin, Mäzenin und Katholikin, auch eine grosse Feinschmeckerin war, die sich von der modernen Gesellschaft nicht lumpen liess.

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