Mittwoch, 29. Januar 2014

Strange fruits und Schweinsrippchen



Gestern noch stand Lady Day in der ausverkauften Carnegie Hall und hatte wohl einer ihrer grössten Erfolge erlebt. Ihre durch Schmerz und Heiserkeit mäandernde Stimme hatte das Publikum von den Sitzen gerissen und den Songtexten diese laszive und brüchige Tiefe gegeben, die wie ein verletzter Tiger mit seinen Krallen in der Magengrube eines jeden kratzte, so dass die Worte nun erst ihre wahre Bedeutung bekamen und so jeden Zuhörer zu bewegen vermochten.

Billie Holiday sang wie immer über ihr Leiden, ihr Erleben, ihre Ängste und ihre Diskriminierung, die sie auch heute noch als Star täglich zu spüren bekam. Gewiss, dass sie wegen Prostitution und Drogenmissbrauch schon im Gefängnis sass, war dabei keine Hilfe gewesen. Doch auch wenn sie immer ein tadelloses Leben geführt hätte, würde sie als Schwarze heute nicht besser dastehen. Daran waren nicht nur die Rassendiskriminierungen der Weissen schuld gewesen, sondern oft auch die schwarzen Brüder und Schwestern, die es auf irgendeine Weise im Musikgeschäft zu etwas gebracht hatten und die ihr Revier, was zumindest das Finanzielle anging, zu verteidigen wussten. Und auch wenn Billie dennoch viele Freunde besass, die sie für ihre Kunst bewunderten und zu ihr standen, spielte ihr Selbstvertrauen ihr selbst immer wieder einen Streich und trieb sie zum Glas oder zur Spritze.

Doch heute, an diesem Frühlingstag in New York des Jahres 1948, sassen Billie, John, Carl, Serena, Joshua und ich an einem grossen Tisch in Joe’s ‚All you can pig’, in dem Schweinsrippchen vom Grill zu dem absolut Besten gehören, was Manhatten in Sachen Fleisch zu bieten hat. Dafür sorgt Joe gleich selber, weil seine Barbecuesauce weit über die Bronx hinaus bekannt ist. Und sie ist natürlich ein absolutes Geheimrezept. Mit Sicherheit gehören Tomatensauce, Honig, Essig, Zwiebeln und Knoblauch zu den Hauptzutaten. Auch Cayennepfeffer und Paprika sind zu schmecken. Aber was der Sauce den wirklich einzigartigen Geschmack verleiht, darum streiten sich sogar jene Geister, die sich hauptberuflich mit Kochen und Essen beschäftigen und ihre Entdeckungen in verschiedenen Lokalblättern sowie auch in der New York Times publizieren. 

Aber was spielte das jetzt für eine Rolle. Sogar Billie sass in aufgeräumter Stimmung da und ass ein paar Happen, wobei sie ein kleines Glücksgefühl zu empfinden schien. Heute war der Tag, an dem Billie gefeiert wurde. Heute war der Tag, an dem die Zukunft warten konnte. Und alles, was uns sonst als Schwarze auf den Schultern lastete, war verflogen. Weit, weit weg. Wenn auch nicht für immer, so doch für heute. Denn dieses Festessen konnte uns für einmal nicht genommen werden.

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