Sonntag, 2. Februar 2014

Roberta kocht ihr Süppchen



Roberta war eine leidenschaftliche Frau. Und zwar in allem, was sie tat. Schon als kleines Mädchen hatte sie im Herbst jeweils zu Boden gefallene Laubblätter gesammelt und diese farblich abgestimmt vor sich hingelegt. Dass später einmal der englische Künstler Andy Goldworthy genau damit grosse poetische Kunst machen würde, welche die Vergänglichkeit für einen Moment zu einem unbeschreiblich anmutigen Bild werden liess, konnte Roberta damals noch nicht wissen.

Und die Tomaten wuchsen wie jedes Jahr im Garten vor ihrem Haus.

Als Roberta dann als junge Frau zu einem Schuhmacher ging und ihm ein paar bunte Zeichnungen hinhielt, weil sie dachte, es könnte ihn vielleicht weiter bringen, gab dieser ihr den Rat, gleich selbst einen Schuhladen zu eröffnen, da ihre Vorstellungen über sein Können hinausgehen würden. Sie befolgte den Rat und begann Schuhe zu machen, die bald nicht nur in Fiesole und Florenz zu kaufen waren, sondern den Erdball von Europa aus in grossen modischen Schritten eroberten.

Und die Tomaten wuchsen wie jedes Jahr im Garten vor ihrem Haus.

Mit 40 Jahren beschloss Roberta, dass sie den Menschen von nun an nicht mehr nur auf die Füsse, sondern auch auf die Finger schauen wollte. Darum hing sie das Geschäft mit den Schuhen an den Nagel, der selbstredend ein sehr, sehr, sehr, sehr goldener war, und engagierte sich politisch gegen die korrupten Machenschaften ihrer ehemaligen Kundschaft, die sich nicht nur selbstgefällig auf ihren atemberaubend hohen Highheels, sondern auch auf dem fiskalischen Glatteis bewegten.

Und die Tomaten wuchsen wie jedes Jahr im Garten vor ihrem Haus.

Als es Zeit wurde, dass Roberta ihr Leben in ruhigere Gewässer lenkte, beschloss sie, dass ihr immer noch stattliches Vermögen nicht nur ihr allein gehören sollte. Also beschloss sie, dieses Geld als Stiftung für einen Fernsehsender zu investieren, der nicht auf die Quoten schauen, keinen Gewinn machen und keine politische Absicht verfolgen musste. Die einzige Auflage war, dass er eine Gegenwelt zum Medienmonopol dieses schmierigen Milliardärs darstellen sollte und nur intelligente, wissenswerte und fundierte Inhalte vermitteln durfte.

Und die Tomaten wuchsen wie jedes Jahr im Garten vor ihrem Haus.

Als Roberta schon eine alte weise Dame war, wurde sie zur ‚Person of the Year’ des Time Magazine gewählt. In der Begründung war unter anderem zu lesen, dass sie Zeit ihres Lebens sich selbst treu geblieben wäre. Und auch wenn sie andere an ihrem Erfolg immer teilhaben liess, so habe sie doch stets mit grosser Kreativität und Leidenschaft ihr eigenes Süppchen gekocht.

Und die Tomaten wuchsen wie jedes Jahr im Garten vor ihrem Haus.

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