Mittwoch, 26. Februar 2014

Zu Tisch mit Pierre Bonnard



Wenn die letzten Februartage in der Stadt sich vom Winter schon verabschiedet haben und nur noch Regen bringen, dann blicke ich manchmal aus dem Fenster, wo ich die immer noch kahlen Bäume mit Schwärmen von Krähen sehe. Wie Geisterarme strecken sich die Äste gegen den dunkeln Himmel, der sich stählern grau wie ein altes Zirkuszelt über den Häusern wölbt und die Sonne und das Licht nicht bis zu den Gärten und Strassen durchlässt. Wie ein fades Aquarell, vom Nieselregen mit einem Schleier versehen, werden die Farben zu einem düsteren Spektrum, als wären die Tage, das Jahr und die Zeit überhaupt stehengeblieben. Wie ein Farbfoto, das auf ganz eigenartige Weise und unnatürlich verblasst ist.

An solchen Februartagen blicke ich in meiner Fantasie in die Ferne, über die Alpen hinaus, bis hin zum Mittelmeer, wo die Sonne auf dieser Welt doch noch ein Plätzchen gefunden hat. Denn hier sind die Farben warm und kräftig, variieren zwischen verschiedenen Lila- und Orangetönen und zeigen mir das sprichwörtlich bunte Leben. Das Licht der Sonne lässt hier die Mauern in Ocker und Gelb aufleuchten, Palmenzweige spenden einen satten dunkelgrünen Ton, und die Tischtücher mit rot-weissen Karos lachen mir hör- und sichtbar entgegen.

Es ist die Welt von Pierre Bonnard, die mich nun schon seit 30 Jahren immer wieder begleitet. Diese Fülle an Leben und Schönheit, diese Farben des Lichts, diese gemalten Momente gepflegter Langeweile. Denn damals, im Jahr 1984, stiefelten wir mit unserem Zeichnungslehrer durch die grossen Räume des Zürcher Kunsthauses, das Pierre Bonnard eine grosse Einzelausstellung gewidmet hatte. Das Jahr, für welches George Orwell nichts Erfreuliches prophezeit hatte, neigte sich schon dem Ende zu und hinterliess Ereignislosigkeit und Gewohnheit. Und draussen lag schon der erste Schnee.

Heute, 30 Jahre nach diesem impressionistischen Feuerwerk, das sich nachhaltig in meine Seele gebrannt hat, stehe ich also wieder am Fenster, blicke hinaus in den verregneten Februartag und sehe diese Farben. Auf wunderbare Weise kann ich diese Bilder sogar riechen: frisch gebrauter Kaffee, gebackene Brötchen, Lavendel, Kamille, Pinienholz...und das Meer. Der Tisch ist gedeckt, die gläserne Tür zum Garten geöffnet und auf dem Stuhl sitzt schon die Frau, die keinen Namen hat. Denn in den 30 Jahren, seit sie mich auf diesen Bildern begleitet, habe ich ihr nie einen Namen gegeben, auch wenn ich weiss, dass es sich in Wirklichkeit um die Gattin Bonnards handelt. Aber die Bilder in meiner Fantasie sind eben meine Bilder, tragen meine Namen und zeigen meine Erinnerungen, auch wenn ich nichts dafür getan habe. Und ich weiss auch, dass ich mich an diesen Tisch setzen werde, ohne mich mit der Frau zu unterhalten. Ich möchte einfach nur dasitzen und etwas frühstücken. Ich möchte mit diesen Bildern für mich allein sein. Und mit Bonnard.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen