Sonntag, 2. März 2014

Güggelis’ Anatomy



Wir schreiben den 6. Mai 1957 im Anatomie-Saal des Universitätsspitals in Zürich. Die Ränge sind bis zum letzten Platz gefüllt. Nebst den vielen Studenten sind auch andere Professoren in den vorderen Reihen auszumachen.

Es geht ein Raunen durch den Saal und die Spannung in der Luft ist sichtlich greifbar. Denn heute soll hier Geschichte geschrieben werden. Denn nach langen Jahren im Exil ist Prof. Dr. Dr. med. hc. onc. phil. Julius Pankratz von der Harvard Medical School, wo er chirurgische Anatomie unterrichtete und dort mit spektakulären Neuerungen von sich reden machte, ja, wo er sogar als eigentliches Enfant terrible der neueren Medizin galt, nach Zürich zurückgekehrt, um in Kürze seine erste Vorlesung zu geben.

Zweifelsohne wird heute Geschichte geschrieben werden, da der verlorene Sohn sich nach jahrelanger Umwerbung endlich dazu bereit erklärte, sein Tipi in den USA abzubrechen und dafür in ein stattliches Haus an der Krönleinstrasse zu ziehen und an der Zürcher Universität zu unterrichten. Was für ein Tag.

Oh, da öffnet sich die Tür und ein schlacksiger Mittfünfziger mit Glatze und einem wilden Haarkranz tritt in den Saal. Ein rauschender Applaus schwellt wie ein unerwarteter Tsunami an und taucht diesen Kosmos der Medizinischen Fakultät in ein Getöse der Begeisterung. Man möchte sich sichtlich nicht lumpen lassen und spendet jenem Beifall, der gekommen ist, um die wissenschaftliche Schweiz und die medizinische Forschung an die Weltspitze zu katapultieren. Es ist ein ergreifender Moment.

Julius Pankratz aber, solche Zuneigungsbekundungen durchaus gewohnt, tritt an den Anatomietisch und nickt kaum merklich der Menge entgegen und nimmt jetzt aus einem Leinensack, den er mitgebracht hat, einen in Pergament eingewickelten Gegenstand hervor und legt diesen vor sich auf den Tisch. Innert einer Sekunde ist der Applaus verebbt und hat nun absoluter Stille Platz gemacht. Was mag da in diesem Pergament sein? Ein Indianerkopf? Ein Republikanerherz? Einsteins Hirn? Wie aufregend das doch ist.

Mit schnellen und sehr gekonnten Handgriffen – durch und durch ein Starchirurg eben – schält Professor Pankratz das Ding aus dem Pergament heraus und legt es dann vor sich auf den Tisch. Sofort erstarren die Gesichter der Studenten und Kollegen zu Stein. Ist es tatsächlich das, was es zu sein scheint? Ist es ein gegrilltes Güggeli? Ungläubig reiben sich einige Zuschauer die Augen. Aber allein schon der Geruch nach gebratener Güggelihaut, Rosmarin und Knoblauch verscheucht jeden Zweifel innerhalb von Sekunden. Ein Güggeli? Was soll denn das?

Pankratz, von der spürbaren Konsternation, der sich im Raum befindlichen Bewunderer, überhaupt nicht beeindruckt, nimmt ein Skalpell, macht einen sauberen Schnitt zwischen der Brust, entfernt in Windeseile beide Flügeli sowie die Beine vom Torso, kehrt das Güggeli auf den Bauch und macht nochmals einen perfekten Schnitt dem Wirbel entlang, so dass das noch eben ganze gebratene Güggeli nun in sechs Teilen, wie bei einer militärischen Auslegeordnung, vor ihm liegt. Zugegeben, das ging schnell. Dennoch weiss das Publikum noch nichts mit dieser Demonstration anzufangen. Doch dann blickt Julius, Anatomiegenie von Gottes Gnaden, erstmals ins Publikum und kommentiert sein Tun: „Sehen Sie, so mag ich es am liebsten. Ein klarer Plan, ein paar genaue Schnitte und dann den Spass.“

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