Mittwoch, 5. März 2014

Die zwei Enden einer Wurst



Sanft fällt die schwere Haustüre ins Schloss, während das Licht im Flur einen leicht goldenen Schein über das edle Parkett strahlen lässt. Mit federndem Handgelenk und lässiger Nachlässigkeit legt Clemens den Bund mit dem Schlüssel seines Maserati Quattroporte S in die schlichte Schale aus Nussbaum, die neben einer üppigen Vase voller gelber Tulpen auf einem Art Deco Sideboard steht. Anna, seine Frau, die wohl schon oben im Schlafzimmer in ihren Träumen auf Wolken schwebt, hat einen kleinen Zettel hinterlegt, auf dem in schnell hingekritzelter Handschrift die Worte `Überraschung im Kühlschrank’ stehen.

Seit 11 Jahren sind Anna und er jetzt verheiratet, haben beide eine saubere und glatte Karriere als Wirtschaftsanwälte hingelegt und wohnen in einem chicen und sehr geschmackvoll ausgestatteten kleinen Stadthaus aus den 30er-Jahren, das, mit altem Baumbestand und grossem Garten, am noblen Zürichberg liegt und zu den Häusern gehört, in dem man einfach wohnen möchte. Das Äussere des Hauses hat ebenso eine perfekte Fassade wie das Paar, das darin wohnt. Die Stoffe der Anzüge und der Kostüme sind erlesen und perfekt geschnitten. Die Schuhe und High Heels glänzen makellos auf jedem Parkett. Und der strenge Scheitel sowie das wallend lockige Haar werden jederzeit so akurat getragen, als kämen beide immer gerade vom Friseur.

Müde, und von den zwei Flaschen Château Figeac im Restaurant Terrasse etwas matt, schlendert Clemens in die Küche direkt zum Kühlschrank, den man heutzutage Foodcenter nennt, öffnet die Flügeltüren und blickt in die Fächer seiner Sehnsüchte. Und tatsächlich, direkt vor ihm, auf dem mittleren Gestell liegt sie, die Überraschung.

Eins, zwei, drei hat sich Clemens schon ein japanisches Messer der Marke Kai geschnappt und steht nun bei der imposanten Kochinsel, welche natürlich keine Träume offen lässt und die für die Zubereitung aufwendigster Gala-Diners wie geschaffen ist. Vor ihm liegt das Objekt der Begierde, die Überraschung seiner Frau, einer der Gründe, warum sie ihr Glück auch ohne Kinder immer wieder zu finden scheinen: ein vakuumiertes Paar Cervelat. Und zwar nicht irgendwelche, sondern ein Paar aus Appenzell von Breitenmoser.

Wie ein Samurai hat Clemens die Packung behende aufgeschnitten, die Häute der Würste eingeritzt und sie mit ein paar gekonnten Handbewegungen entfernt. Dann, Sekunden später, hört man ein sanftes Knacken und die zwei Hälften der kalten Cervelat liegen in beiden Händen und sind bereit, gierig verschlungen zu werden. Ohne Brot, ohne Senf. Einfach nur den puren Geschmack der Wurst, die ihn in Sekundenschnelle in seine Jugend zurück katapultiert, wo man im Sommer barfuss zur Schule ging und sich ganze Mittwochnachmittage am nahen Bach mit dem Bauen von kleinen Staumauern beschäftigte, bis Hosen und Leibchen nur noch nasse Lumpen waren.

„Es gibt noch Offenbarungen im Leben“, sinniert Clemens vor sich hin und schaut auf die angebissene Wurst, „es gibt noch Gelegenheiten, diesem materialisierten Wahnsinn zu entkommen.“ Dann erscheint ein Lächeln auf dem Gesicht, und ein kleines Strahlen erhellt Clemens rote Augen. „Ich glaube, wir hätten meine Kündigung auch noch mit einer dritten Flasche Figeac feiern können.“

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