Mittwoch, 12. März 2014

Cordula hat Lust auf einen kleinen Drachen



Die schroffen Berge von Draculandia präsentierten sich im schönsten Wetter. Tiefschwarze Wolken zogen wie fette Rabenvögel über die Gipfel, Blitze zerschmetterten Felsgestein an den steilen Flanken und eiskalter Regen prasselte übers Land, als würde Tropficus, der Regenhexenmeister, selbst die Hand anlegen.

Cordula, die immer hungrige Hexe, hatte ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht und flog auf ihrem Besen zu ihrem Lieblingsrestaurant, dem ‚Chez Blutrünnstigus’. Während sie in eleganten Flugbewegungen den durch die Luft flitzenden Blitzen behende auswich, steuerte sie zielsicher auf die hervorspringende Klippe, auf der das Gourmetlokal lag. Und weil sie eine Hexe mit Stil war, hatte sie sich natürlich für diesen Besuch herausgeputzt: sie hatte ihre Achseln mit Rattenschmalz eingerieben, ihre Haare mit abgestandenem Brennnesselsud gewaschen und ein paar Tropfen Hundegalle an ihren Handgelenken hingetupft. Denn wenn Cordula essen ging, wollte sie hübsch aussehen, schliesslich wusste man ja nie, ob Kratzfusius, der kleine Stinktroll, zufällig nicht auch gerade ein kleines Hüngerchen verspürte und im ‚Chez Blutrünnstigus’ auftauchen würde. Und da unsere Hexe schon lange ihr noch einziges funktionierendes Auge auf ihn geworfen hatte, wäre dieser Zufall doch ein gar hübscher gewesen.

Als Cordula eine wunderbare albatrossgleiche Landung hingelegt hatte, wobei sie noch etwa siebenmal kopfüber durch schlammigen Morast gepurzelt war, trat sie durch die schwere Eisentüre in den dunkeln und herrlich nach frisch geschlachteten Warzenschwein riechenden Raum und nahm in einer kleinen Nische an einem Tisch Platz. Das Restaurant war ordentlich besucht, und man hörte ein angenehm wohliges Schmatzen und Rülpsen und Furzen, so dass man sich gleich aufs Herzlichste willkommen fühlte. Und kaum abgesessen, kam auch schon ein kleiner Wicht, stellte ein Schälchen gesalzene Hundezähne auf den Tisch und übergab ihr sogleich die Speisekarte.

Da heute Donnerstag war, standen auf dem Tagesmenü verschiedene Zubereitungsarten von Drachen. Und während Cordula gerade einen spitzen und herrlich braunen Hundezahn in den Mund katapultierte, vertiefte sie sich in das wunderbare Angebot.

Beim ‚Draco luciferus’ handelte es sich um einen etwas kleineren Drachen, der, mit Chilischoten, Siebenschläfer, Pestwurz und Krötenlaich gefüllt, am Spiess gebraten und serviert wurde.

Beim ‚Draco rollmopsus’ handelte es sich um einen in der Mitte aufgeschnittenen Flugdrachen, den man mit fauligem Hering, Eselsschwänzen und Tannenschösslingen gefüllt und wieder zusammengerollt hatte, und dessen Flügel frittiert als Cracker dazu gereicht wurden.

Für Liebhaber von Eintöpfen bot sich ‚Draco domestica’ an, bei dem man einen Schlangendrachen mit verschiedenen in Fischöl eingelegten Haustieren – wie Wellensittiche, Katzen, Ratten und Meerschweinchen – einen Monat lang in Zwergenmagensaft marinierte, bevor er dann über dem offenen Feuer geschmort wurde.

Ach, wie lief Cordula doch das Wasser im Mund zusammen. Und ihr wurde mit zunehmender Begeisterung und Gewissheit klar, bei diesem Tagesangebot würde Kratzfusius auch noch auftauchen. Denn wenn es einen wirklichen Feinschmecker gab, dann war das ohne Zweifel er gewesen.

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