Sonntag, 30. März 2014

Früher Tod eines Stars



Jean-Philippe Mouche war ein gefürchteter Marmeladenkritiker, der im 18. Arrondissement beim Sacre-Coeur einen einzigartigen Ruf genoss. Er publizierte dabei nicht nur mit sarkastisch scharfen und geistreichen Worten im allseits beliebten Feinschmeckerfliegen-Magazin „Le monde sucré“, sondern konnte mit seinen Riechorganen sogar über ganze Strassenzüge hinweg frisch gemachte Marmelade ausfindig machen, den Reifegrad gekochter Früchte erraten und den Zuckergehalt einer Konfitüre in einem verschlossenen Marmeladenglas blind bestimmen. Es ist wohl nicht übertrieben, zu behaupten, dass Monsieur Mouche der Houdini unter den Marmeladenkritikern war. Ein Zauberkünstler, ein Prophet, ein entfesselter Connaisseur erster Güte.

So verwundert es auch nicht, dass er einst sogar die Früchte einer frisch gekochten Stachelbeeren-Marmelade nach Hang- und Schattenlage zu erraten vermochte, die in einer Seitengasse beim Jardin du Luxembourg gerade auf dem Herd stand. Und das über die halbe Stadt hinweg, über den Louvre und die Seine hinaus. Das muss man sich einmal vorstellen.

Zweifellos hätte der Ruf von Monsieur Mouche noch viel weiter gereicht und ganz anderen Ruhm erlangt, wenn er nicht jäh von einem trotzigen, kleinen fünfjährigen Jungen auf dessen Frühstücksbrot mit Marmelade aus Périgord-Erdbeeren zu Tode geklatscht worden wäre. Aber wie pflegte Jean-Philippe Mouche doch immer zu sagen: „Pas de risk, pas de fönn.“ Und so reiht sich auch dieses Idol in die Reihe derer ein, die mit 27 Tagen viel zu früh gestorben sind.

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