Montag, 14. April 2014

Koriander zum Abschied



Ahmed rannte um sein Leben. Er wusste, dass er als Figur in einem Agententhriller von Eric Ambler keine grossen Chancen hatte, um zu überleben. Zumal er weder der Protagonist noch der Antagonist dieses Romans war, sondern einfach ein kleiner Gauner aus dem nahen Osten, der jetzt in Kapitel sieben um sein Leben laufen musste. Es war einfach nicht in Ordnung. Auch wenn er gerade eine Frau umgebracht hatte – mit einem Schuss exakt zwischen den Augen ‚PENG!’ –, so fand er jetzt diese an Sicherheit grenzende tödliche Verfolgung durch den Titelhelden wieder einmal so ein imperialistisches Gesellenstück, das sich nur einer ausdenken konnte, der die arabische Kultur nicht verstand. Sondern diese einfach als orientalische Kulisse benutzte, um der Welt zu zeigen, dass man hier im nahen Osten noch rückständig war. Aber was half es jetzt, sich darüber zu viele Gedanken zu machen. Die Szene war geschrieben. Und was er jetzt tun musste, war rennen, rennen, rennen.

Die Sonne brannte unbarmherzig auf Beirut. Der Leser sieht gerade einen gedungenen Mörder durch eine Strasse rennen. Auf seinen Fersen verfolgt ihn ein Geheimagent, der selbst noch beim grössten Spurt durch dieses Getümmel einen makellosen Eindruck in seinem teuren Anzug macht und nicht locker lässt. Und wie man lesen kann, kommt der Titelheld dem Flüchtling immer näher, bahnt sich wie eine Antilope den Weg durch die Menschenmenge, die gerade an Markständen steht, an Ecken miteinander plaudert oder an Tischen vor kleinen Lokalen etwas Mezze ist. Mit anderen Worten: all die Dinge, die dieses Szenario etwas mit Ambiente anreichern. Und es wird höchstens noch fünf Zeilen dauern, bis der Held den Flüchtigen zu fassen kriegt und diesen zur Rede stellt. Oder vielleicht nur noch drei Zeilen, bis es dem Verfolger zu viel wird und er den Araber in den Rücken schiesst. Doch schon jetzt sehen wir den Verfolgten inmitten eines Lokals stolpern – das ein paar Tische auf den Gehsteig gestellt hat, an denen gerade ein paar Touristen etwas essen – und mit dem Gesicht auf einer dieser Tische aufschlagen. Die zwei Frauen, die noch gerade friedlich dagesessen sind, schrecken zurück, halten melodramatisch beide Hände an die Wangen und beginnen entsetzt zu schreien.

Ahmed ist soeben getroffen worden. Der Schuss traf seinen Hinterkopf und katapultierte ihn auf einen kleinen runden Tisch vor sich, an dem gerade zwei Touristinnen ihr Mittagessen einnahmen. Das Gesicht schlägt unbarmherzig auf einem mit Hummus, Taboulé und Baba Ghanoush gefüllten Teller auf. Und das Letzte, was Ahmed in seinem Leben noch zu sehen bekommt, ist ein Büschel frischer Koriander in Grossformat, der als Dekoration auf dem Mezze-Teller liegt und sich in die weit aufgerissenen Augen geschoben hat, die nie mehr das Morgenlicht, die Abenddämmerung und den Sternenhimmel erblicken werden. Armer Ahmed, ausgerechnet Koriander.

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