Freitag, 20. Juni 2014

Akiras Träume



Tanzende Monde, fliegende Rehe und Margeriten, die sich wie Windräder am blauen Himmel drehen und wie Schmetterlinge durch den Kosmos flattern. Das ist nicht das Wunderland, in dem Alice ihre Abenteuer erlebt. Und es ist auch nicht das Reich des Zauberers von Oz, wo Dorothy ihre rot funkelnden Schuhe spazieren führt. Nein, ich sitze in der vordersten Reihe einer Show der Londoner Fashion Week und lasse mich, zusammen mit vielen bekannten Gesichtern aus der Modebranche, gerade von der luftigen Sommer-Kollektion eines mit mir gut befreundeten japanischen Designers verzaubern.

Sein Name ist Akira und er ist ein Träumer und ein Phantast. Aber er lebt seine Träume, verwandelt sie in atemberaubende Kleider und schuftet Tag und Nacht, um aus ihnen unvergessliche Bilder zu schaffen. Er hatte immer schon das grosse Glück, sein Talent, seine Intuition und seinen Willen derart zu fokussieren, dass er selber seiner Kreativität niemals einen Stolperstein in den Weg legte, indem er den Versuchungen der Modeindustrie, mit ihren aberwitzigen Honorarversprechungen, erlag. Er lebt dabei nicht nur scheinbar in den Tag hinein, sondern macht tatsächlich immer gerade das, was im einfällt und Spass bereitet. So ist es im Grunde genommen immer ein Ereignis, wenn er an einer Fashion Week präsent ist, da er sich vom Diktat der Zeit und des stetigen Wechsels in keiner Weise beeindrucken lässt und erst dann an die Öffentlichkeit gelangt, wenn er und seine Kreationen bereit dafür sind. Und diese sind jedes Mal ein Ereignis.

Akira ist witzig, feinsinnig und – wie es wohl Robert Walser ausdrücken würde – von grosser Zartheit. Und es war auch die Liebe zu Robert Walser, die ihn und mich zu Freunden gemacht hat. Vor Jahren schon strandeten wir beide zur gleichen Zeit auf einer Insel in der Ägäis und hielten, ein jeder für sich, ein Buch dieses wundervollen Schriftstellers in der Hand. Konnte das ein Zufall sein? Akira, damals noch ein Kunststudent, der auf elterliche Kosten die Schönheiten Europas entdeckte. Ich, ein bereits erfolgreicher Journalist, der bereits innerlich an seinen Berufsvorstellungen gestrandet war und der bereit war, sein Leben von Grund auf zu ändern. Beide standen wir damals am Pier und schauten der Fähre nach, die uns zum griechischen Festland hätte bringen sollen, die wir aber gerade verpasst hatten und die uns dazu zwang, noch einen Tag auf dieser Insel zu bleiben. Und das mit Robert Walser in den Händen. Es gibt weiss Gott schlimmere Umstände, eine Freundschaft fürs Leben zu beginnen.

Mittlerweile, zwanzig Jahre später, ist aus unserer skurrilen Begegnung eine starke Bindung geworden. Wir haben in der Zwischenzeit beide ein neues Leben aufgebaut, uns teilweise neu erfunden und erfreuen uns beide einem gewissen Grad von Unabhängigkeit. Und wann auch immer ich in London bin, wo Akira heute lebt und arbeitet, lädt er mich zu einem Nachtessen zu dritt ein. Mich und Robert Walser. Dabei ist es keineswegs so, als dass wir ständig über Walser sprechen würden. Das haben wir in den ersten Jahren unserer Freundschaft zu genüge und mit grosser Leidenschaft schon getan. Heute aber sitzen wir jeweils am Tisch, geniessen Akiras Kochkunst und spazieren in unseren Gesprächen über die Felder und Hügel, wie das der Schweizer Schriftsteller in seinem späteren Leben tatsächlich beinahe täglich gemacht hat.

Als ich gestern wieder bei ihm zu Gast sein durfte, obwohl heute die grosse Show anstand, tischte Akira mir einen wunderbaren Zuke-Don auf. Würfel von rohem Lachs, Thuna und Makrele mit einer Marinade aus Sake, Zucker und Sojasauce sowie eingelegten Algen und frischen Frühlingszwiebeln. Das alles in einer kleinen Schüssel mit Sushi-Reis, ein paar Sesamsamen und einem luftigen Wasabi-Schaum angerichtet. Und wie alles, was Akira selbst machte, war auch dieser Eintopf ein poetisches Bild. Schlicht, zart und dennoch farbenfroh wie ein Feuerwerk. Oder wie eine Zeile von Robert Walser, wenn er die Schönheiten des Lebens in seiner bezaubernden Sprache ganz einfach beschreibt.

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