Montag, 2. Juni 2014

Ein einfacher Sonntag auf dem Land



Als ich an einem regnerischen Sonntag ins innerrhodische Gonten zu einem Mittagessen eingeladen wurde, sprach nur sehr wenig dafür, dass ich an diesem Tag eine meiner kulinarischen Sternstunden erleben würde. Ein Freund wollte mich seinen Eltern vorstellen, die über Jahrzehnte ein Restaurant geführt und über die Region hinaus bekannt gemacht hatten. Da er wusste, dass ich gutes Essen zu schätzen weiss, fand er es nur angebracht, dass ich einmal deren Bekanntschaft und zugleich die Erfahrung mit ihrer Küche machen sollte. Ausserdem fand er es wohl an der Zeit, dass seine Eltern auch mal einen Elefanten bei sich in der guten Stube willkommen heissen könnten. Auch das eine Erfahrung, die man ja nicht jeden Tag macht.

Nachdem ich der Mutter meines Freundes einen Gelben Frauenschuh als Gastgeschenk überreicht und ihr damit eine unglaubliche und nicht erwartete Freude bereitet hatte, sassen wir zu viert an einem schön gedeckten Tisch in einer typischen Appenzeller Stube und tauschten freundliche Nettigkeiten aus. Dann schlich sich die Mutter, die schon in den Siebzigern war, in die Küche, um die Vorspeise vorzubereiten, während der Vater sich in den Keller begab. Draussen vor dem Fenster sahen wir die Nebelschwaden um den Kronberg tänzeln, während das Licht des trüben Tages das ansonsten so satte Grün der Wiesen beinahe blas erscheinen liess.

Doch sogleich wurde dieses fade Grün von dem leuchtenden Grün eines Kopfsalates abgelöst, der schlicht zubereitet vor mir auf den Tisch gestellt wurde. Ein Auftakt ohne Feuerwerk. Aber dennoch ein wunderbar eleganter Auftakt, weil eine Salatsauce meistens einfach eine Salatsauce ist und nur ganz selten eine Offenbarung. Dieser grüne Kopfsalat aber war wirklich eine Offenbarung.

Während die Mutter wieder in die Küche ging, kam der Vater mit einem freudigen Schmunzeln in die Stube und stellte eine Flasche Rotwein auf den Tisch... Stopp! Noch einmal.

Also: als die Mutter in die Küche ging, kam der Vater mit einem Schmunzeln in die Stube und stellte eine Flasche Château Pétrus auf den Tisch.

Glauben Sie mir, Elefäntchen hat noch selten in seinem Leben so grosse Augen gemacht und dümmlich aus der Wäsche geschaut. Wo war ich denn hier gelandet? In einem Traum? Im Schlaraffenland? Nein, es war immer noch Gonten, das da ganz unspektakulär vor den Fenstern lag. Und in diesem kleinen innerrhodischen Krachen, wo man eher einen sauren Most erwartet, stand plötzlich dieser Wein da.

In einer Fernsehserie wäre das der beste Cliffhanger, um eine Woche auf die nächste Folge der Geschichte zu warten. Doch kaum war der Wein auch in unseren Gläsern, kam die Mutter mit einem herrlichen Lammcurry mit Äpfeln und Kartoffelstock hereingeschlurft. Richtig, ein Lammcurry mit einem Bordeaux, für den Weinkenner ihre gesamte Familie verkaufen würden. Was für eine Kombination. Fantastisch. Fan-tas-tisch.

Aber damit nicht genug. Nachdem die Mutter sich dahingehend äusserte, Elefäntchen wäre beim Curry noch bereit für einen Nachschlag, entschied sich der Vater, dass dies ebenso für den Wein gelten mochte. Wie bitte? Noch eine Flasche Wein nach dem Pétrus? Das war einfach unmöglich. Denn eine zweite Flasche desselben Weines wäre einfach nur absurd gewesen. Damit durfte ich also nicht rechnen. Und ein anderer Wein würde wohl dieses Erlebnis unwürdig zur Ironie verkommen lassen. Doch da ich Gast war, behielt ich meine Bedenken für mich und dachte, dass dieser grossartige Augenblick eben einfach nur ein kleiner Glücksmoment bleiben würde.

Doch dieser Gedanke wurde gleich aufs Erstaunlichste widerlegt. Denn die nächste Flasche, die der alte Mann ganz nebensächlich auf den Tisch stellte, war ein Château Latour mit Jahrgang 1982. Das war nicht irgendein Jahrgang, sondern einer der besten überhaupt. Ich war fassungslos. Was passierte hier gerade? Konnte es sein, dass ich tatsächlich zwei Spitzenweine an einem normalen Sonntag auf dem Lande trinken würde? Konnte das wirklich sein? Offenbar konnte es das.

Wenn mich heute jemand fragt, wie denn für mich so ein einfacher Sonntag idealerweise aussieht, muss ich immer schmunzeln, mit dem Rüssel zärtlich über meine Lippen fahren und an diesen Sonntag denken. Genau so muss ein einfacher Sonntag aussehen. Selbst, wenn ich als Ausserrhödler dafür nach Innerrhoden gehen muss.

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