Montag, 30. Juni 2014

Viel Bla-bla um Allerlei vom Säuli



Wenn man in einem Chor die Stimme des ersten Tenors singt – welcher vielleicht in einem Requiem, einem einfachen Lied oder in einem Choral die Hauptmelodie zu singen hat –, während der zweite Tenor, ein Alt oder vielleicht auch ein Bass unterstützend eine harmonische Begleitung dazu singt, dann kann man als Sänger die Qualität dieser Mehrstimmigkeit körperlich erfahren. Nicht nur, weil der Körper als eigener Resonanzkörper das seine dazu beiträgt, sondern weil das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Stimmen, welche gemeinsam über Notenlinien mäandernd durch eine neue Welt schlendern, uns in der Seele tief berührt. Es ist diese Kombination, die, absolut folgerichtig und dennoch überraschend überwältigend, uns bezaubert und uns verführt. Ob als vollkommene Harmonie oder in perfekter Dissonanz, ob schwermütig mit satten Streichern und Bläsern in Moll oder mit einem witzigen Pizzicato auf einer Violine begleitet; der Gesamteindruck hat stets etwas Überirdisches. Und man ist als Sänger immer ein Teil davon.

So. Und jetzt hat sich der Elefant vor lauter selbstgefälliger Wortschrauberei gerade ein bisschen in der Analogienwüste verloren und hofft, aus diesem bildungsbürgerlichen Exkurs nochmals entrinnen zu können. Und zwar ohne einfach die Delete-Taste zu drücken.

Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, wie bei mehrstimmigem Gesang kann man in manchen Restaurants seit einiger Zeit den variantenreichen Genuss auch auf dem Teller geniessen. Das heisst dann Zweierlei, Dreierlei oder Allerlei vom Kalb. Oder vom Freilandsäuli. Oder von Frehners Rindli Hilda aus dem Säuliamt. Es ist das Versprechen, dass man vom jeweiligen Tier nicht nur das Eine (Filet, Koteletts, Leber usw.), sondern eben auch noch das Andere auf dem Teller serviert bekommt. Und das, wenn gut gekocht, meistens in einer harmonischen Variation, welche durch Kochkunst ebenso zu begeistern vermag wie ein Streichquartett von Brahms...oder ein Forellenquintett...oder ein Quodlibet verschiedener Lieder. Es ist ein genussvoller Reigen, der uns zeigt, dass man mit ganz einfachen Mitteln für weniger Langeweile auf dem Teller sorgen kann.

Etwa so, wie wenn man hier mit genau 2389 Zeichen (inkl. Leerzeichen) auf einfachste Art ganz umständlich zu beschreiben versucht, dass man auf dem Gupf in Rehetobel, im Schlüssel in Zürich oder im Chesa Salis in Bever schon saugute Allerleis serviert bekommen hat.

Donnerstag, 26. Juni 2014

George hat Hunger



Nach dem George am 24. August 1940 seine beiden Eltern in einem Vorort von London durch das Bombardement der Deutschen verloren hatte, war er auf einen Schlag Vollwaise geworden und hatte niemanden mehr auf der Welt, auf deren verwandtschaftlichen Bande er zählen konnte. Als Junge von 9 Jahren war das nicht eine sehr erfreuliche Option für die Zukunft, was ihm aber nur allzu bewusst war, hatte er doch schon oft von seinem Vater gehört, wie es Waisen ergangen war, die ihre Eltern im 1. Weltkrieg oder an der Spanischen Grippe von 1918 verloren hatten. Nein, die Aussichten schienen wahrlich alles andere als rosig zu sein.

Als George 24 Stunden nach dem letzten Donnergrollen endlich über seine toten Eltern aus den Trümmern ihres Häuschens ans Licht trat, fand er inmitten der zerbombten Strasse einen neuen, unversehrten Bleistift mit gold-schwarzen Streifen vor ihm liegen. Er hob diesen auf und betrachtete ihn lange, als ob er noch nie in seinem Leben einen Bleistift gesehen hatte. Doch da alles andere um ihn herum dem Erdboden gleichgemacht war, schien für ihn dieses kleine unbeschädigte Ding tatsächlich etwas Besonderes zu sein. Etwas, das sein Leben für immer verändern sollte. Etwas, worauf er bauen konnte. Und etwas, das ihn die gegenwärtige Tragödie seines Lebens auf irgendeine Weise überwinden half.

Da er, wie viele andere auch, in diesen Tagen oft an Hunger litt, war das erste, das er mit dem Stift auf einen ebenfalls gefundenen kleinen Zettel malte, ein kleines Brötchen. Das Zeichnen und die damit einhergehende Konzentration liessen ihn den Hunger vergessen. Aber es offenbarte sich auch, dass er über zeichnerisches Talent verfügte und Gegenstände so abzubilden verstand, dass sie beinahe so echt und wirklichkeitsnah wie auf einer Fotografie anzusehen waren. Und als George sich dieser Fähigkeit bewusst wurde, schwor er sich, dass er mit diesem Bleistift nur noch Essen zeichnen wollte, bis von diesem nur noch ein kleiner Stummel übrig bleiben würde. Und er wusste auch, dass genau das vielleicht die Möglichkeit war, dem Tod der Eltern und seinem Leben einen Sinn zu geben. Denn Essen bedeutete, nicht zu verhungern.

Als George zwölf Jahre später seine Ausbildung als Wissenschaftlicher Zeichner abschloss, drang sein Ruf schon weit über das Land hinaus. Über den Kanal auf den Kontinent und sogar über den Atlantik bis in die Vereinigten Staaten, von wo er immer wieder Anfragen erhielt, Essen für Bücher, Lehrmittel, Plakate und vieles mehr zu illustrieren.

Und so kam es, dass er in kürzester Zeit zu einem der bekanntesten Illustratoren wurde, den seine Hingabe für das Essen berühmt und reich werden liess. Und bei jeder noch so kleinen Beere und jeder noch so einfachen Erbse, die er mit grosser Liebe aufs Papier brachte, war er sich stets im Klaren darüber, dass es nicht nur um sein Talent ging, sondern vor allem auch um sein Versprechen, diesem Bleistift, der mittlerweile durch viele andere ersetzt worden war, die Bedeutung zukommen zu lassen, die er verdient hatte. Und das bedeutete nichts anderes, als fürs Überleben und gegen das Leid zu kämpfen.

Freitag, 20. Juni 2014

Akiras Träume



Tanzende Monde, fliegende Rehe und Margeriten, die sich wie Windräder am blauen Himmel drehen und wie Schmetterlinge durch den Kosmos flattern. Das ist nicht das Wunderland, in dem Alice ihre Abenteuer erlebt. Und es ist auch nicht das Reich des Zauberers von Oz, wo Dorothy ihre rot funkelnden Schuhe spazieren führt. Nein, ich sitze in der vordersten Reihe einer Show der Londoner Fashion Week und lasse mich, zusammen mit vielen bekannten Gesichtern aus der Modebranche, gerade von der luftigen Sommer-Kollektion eines mit mir gut befreundeten japanischen Designers verzaubern.

Sein Name ist Akira und er ist ein Träumer und ein Phantast. Aber er lebt seine Träume, verwandelt sie in atemberaubende Kleider und schuftet Tag und Nacht, um aus ihnen unvergessliche Bilder zu schaffen. Er hatte immer schon das grosse Glück, sein Talent, seine Intuition und seinen Willen derart zu fokussieren, dass er selber seiner Kreativität niemals einen Stolperstein in den Weg legte, indem er den Versuchungen der Modeindustrie, mit ihren aberwitzigen Honorarversprechungen, erlag. Er lebt dabei nicht nur scheinbar in den Tag hinein, sondern macht tatsächlich immer gerade das, was im einfällt und Spass bereitet. So ist es im Grunde genommen immer ein Ereignis, wenn er an einer Fashion Week präsent ist, da er sich vom Diktat der Zeit und des stetigen Wechsels in keiner Weise beeindrucken lässt und erst dann an die Öffentlichkeit gelangt, wenn er und seine Kreationen bereit dafür sind. Und diese sind jedes Mal ein Ereignis.

Akira ist witzig, feinsinnig und – wie es wohl Robert Walser ausdrücken würde – von grosser Zartheit. Und es war auch die Liebe zu Robert Walser, die ihn und mich zu Freunden gemacht hat. Vor Jahren schon strandeten wir beide zur gleichen Zeit auf einer Insel in der Ägäis und hielten, ein jeder für sich, ein Buch dieses wundervollen Schriftstellers in der Hand. Konnte das ein Zufall sein? Akira, damals noch ein Kunststudent, der auf elterliche Kosten die Schönheiten Europas entdeckte. Ich, ein bereits erfolgreicher Journalist, der bereits innerlich an seinen Berufsvorstellungen gestrandet war und der bereit war, sein Leben von Grund auf zu ändern. Beide standen wir damals am Pier und schauten der Fähre nach, die uns zum griechischen Festland hätte bringen sollen, die wir aber gerade verpasst hatten und die uns dazu zwang, noch einen Tag auf dieser Insel zu bleiben. Und das mit Robert Walser in den Händen. Es gibt weiss Gott schlimmere Umstände, eine Freundschaft fürs Leben zu beginnen.

Mittlerweile, zwanzig Jahre später, ist aus unserer skurrilen Begegnung eine starke Bindung geworden. Wir haben in der Zwischenzeit beide ein neues Leben aufgebaut, uns teilweise neu erfunden und erfreuen uns beide einem gewissen Grad von Unabhängigkeit. Und wann auch immer ich in London bin, wo Akira heute lebt und arbeitet, lädt er mich zu einem Nachtessen zu dritt ein. Mich und Robert Walser. Dabei ist es keineswegs so, als dass wir ständig über Walser sprechen würden. Das haben wir in den ersten Jahren unserer Freundschaft zu genüge und mit grosser Leidenschaft schon getan. Heute aber sitzen wir jeweils am Tisch, geniessen Akiras Kochkunst und spazieren in unseren Gesprächen über die Felder und Hügel, wie das der Schweizer Schriftsteller in seinem späteren Leben tatsächlich beinahe täglich gemacht hat.

Als ich gestern wieder bei ihm zu Gast sein durfte, obwohl heute die grosse Show anstand, tischte Akira mir einen wunderbaren Zuke-Don auf. Würfel von rohem Lachs, Thuna und Makrele mit einer Marinade aus Sake, Zucker und Sojasauce sowie eingelegten Algen und frischen Frühlingszwiebeln. Das alles in einer kleinen Schüssel mit Sushi-Reis, ein paar Sesamsamen und einem luftigen Wasabi-Schaum angerichtet. Und wie alles, was Akira selbst machte, war auch dieser Eintopf ein poetisches Bild. Schlicht, zart und dennoch farbenfroh wie ein Feuerwerk. Oder wie eine Zeile von Robert Walser, wenn er die Schönheiten des Lebens in seiner bezaubernden Sprache ganz einfach beschreibt.

Mittwoch, 18. Juni 2014

Trogener Requiem



Ich bin in einem Museum aufgewachsen. Die Häuser, welche den grossen Dorfplatz mit seiner Barockkirche umringen, stammen fast alle aus dem mittleren 18. Jahrhundert und waren einst Wohnsitz einer Familie, die sich mit dem Tuchhandel in ganz Europa einen Namen gemacht hat. Doch auch das, was hinter diesen Häusern zum erweiterten Dorf zählt, ist Zeuge einer Architekturgeschichte, die dem Gestern mehr Aufmerksamkeit entgegenbringt als dem Heute.

Ich bin in einem Museum aufgewachsen. Aber in einem sehr lebendigen. Denn als ich ein Kind war, da fand man noch verschiedene Bäckereien vor, die eine jede für sich ihre Spezialitäten anbot. Es gab auch mehrere Metzgereien, zwei Lebensmittelgeschäfte, eine Gärtnerei, einen Getränkehandel, eine Drogerie sowie noch ein paar andere kleine Läden, die den täglichen Bedarf für die hiesige Bevölkerung aufs Beste zu befriedigen vermochten. Mit anderen Worten, ich wuchs in einem kleinen Kosmos auf, der diesem musealen Dorf mit seinen pittoresken Bauten Leben einhauchte und in dem immer eine quirlige Atmosphäre vorherrschte.

Ich bin in einem Museum aufgewachsen, das die Bilder meiner Kindheit mit Düften, Gerüchen, Geschmäckern und Materialien angereichert und mein Empfindungsgedächtnis für immer geprägt hat. Da ist der Geruch der Pantli und Mostbröckli im Rauchkamin der elterlichen Metzgerei. Da ist der leicht bittere Geschmack dunkler Schokolade an den Enden des Schoggikreuzes der Bäckerei Willi. Die luftige Vanillecrème einer Charlotte Russe der Conditorei Ruckstuhl. Der Duft von sonnenverbrannten Schindeln Appenzeller Häuser und Stallwänden. Die kühl milchig riechende Luft des Lieferwagens, mit dem Köbi Blättler seine Milchprodukte nach Hause geliefert hat. Das dampfende Steinpflaster, wenn ein Gewitter einem heissen Sommertag Abkühlung gebracht hatte. Der cremig-rezente Geschmack eines Käsefladens in der Landmark. Das Blütenfest der Linden. Die feuchte Luft in den Wäldern voller Farne. Geschnittenes Gras. Und Heu. Immer wieder dieser unvergleichliche Duft von Heu.

Ich bin in einem Museum aufgewachsen und habe dieses kürzlich wieder besucht. Keine Menschen auf der Strasse. Keine Läden mehr. Keine Gerüche, die Erinnerungen gebracht hätten. Und auch kein Leben. Nur Fassaden, Geschichte, Beschaulichkeit und ein Erschrecken darüber, dass das einmal das Dorf gewesen sein soll, das meine ganze Lust geweckt, meine Sehnsüchte geprägt und meine Liebe bekommen hatte.

Ich bin in einem Museum aufgewachsen und bin ihm entkommen. Ein Ort, der kein Heimweh mehr aufkommen lässt und mich mit der Tatsache versöhnt hat, dass man nicht alles, was man hinter sich lässt, auch innerlich verlassen hat. Denn die Erinnerungen leben noch und sind nach wie vor ein Teil von mir. Sie sind es, die mich auf meinem Weg weitergebracht haben. Sie sind der Nährstoff dessen, was mich als volles Leben in der Welt erwartet hat. Sie sind Kraft, Dinge immer wieder frisch und neu zu sehen, als wäre ich ein Kind, das einfach auf seiner Entdeckungsreise noch nicht zu Hause angekommen ist.

Samstag, 14. Juni 2014

Schweizer Idylle



Über dem Thurgauer Seerücken hat der heutige Junitag viel Sonne und hohe Temperaturen gebracht und bietet drei Rotmilanen am Himmel eine klare Sicht auf Wiesen und Felder, Obstplantagen und Gemüseäcker. Und während wir schwitzend in die Pedalen steigen, ziehen die grössten aller hiesigen Greifvögel anmutig ihre Kreise, ziellos und doch bestimmt, lassen den Aufwind in ihren Federn das seine dazu beitragen und schweben majestätisch in der von blühenden Linden geschwängerten Luft, während wir vor Begeisterung über dieses Spektakel fast in einen Graben fahren.

Endlich am Bommer Weiher angelangt, entschliessen wir uns, eine kleine Pause einzulegen, die Fahrräder auf der Seite, wie blecherne Ponys, stehen zu lassen und die Picknickdecke auf der Wiese auszubreiten. Es ist die Gelegenheit, das mit Rohmilch-Butter bestrichene und mit gekochten Schinken belegte Zopfbrot – und zwar nicht nur ein, zwei Scheiben – aus der Folie zu wickeln und dann diesen behäbigen Genuss mit diesem Ausblick und diesem Augenblick zu teilen. Noch etwas ausser Atem, aber durchaus sehr glücklich und stolz und überschwänglich, nehmen wir noch einen Schluck Hahnenwasser aus der Thermosflasche, seufzen seelig und sinken schliesslich hinunter auf die Decke, um das Lichtspiel in den Blättern auf dem Rücken liegend zu beobachten.

Kristallern schimmern die Funken der Sonnenstrahlen hinein in das Blattwerk dieses Zauberwaldes, aus dem die geräuschvolle Stille von Abermillionen Insekten, Amphibien und Kleingetieren zu hören ist. Hier hat sich also auch das Paradies hingelegt. Hier wird alles sofort vergessen, was noch vor ein paar Stunden stumpfer Alltag war. Hier kann man verweilen...und vielleicht auch gleich noch das zweite Zopfbrot seiner Vergangenheit zuführen. Doch diesmal mit Fleischkäse.

Donnerstag, 12. Juni 2014

100 Elefanten



Seit einem Jahr sind sie unterwegs, die Elefanten. Über alle Meere, durch die Jahrhunderte und auf allen Kontinenten wurden sie gesehen, haben einen Halt gemacht, wunderbare Dinge gekostet und danach eine Geschichte nach Hause gebracht.

Was treibt sie an, diese Dickhäuter mit dem feinen Rüssel? Was macht sie zu leidenschaftlichen Geschichtenerzählern? Und warum immer wieder über und um das Kulinarische herum Geschichten erfinden?

Lust. Pure Lust.

Denn nirgendwo sonst, kann man so einfach mit allen lebenden, schon gestorbenen und vielleicht noch nicht geborenen Herrschern verschiedenster Königshäuser parlieren. Auch das Zusammentreffen mit Filmstars, Starmusikern und Operndiven wäre wahrscheinlich anderswo etwas schwieriger zu bewerkstelligen. Aber mit den Elefanten ist sogar ein Interview mit einem Zwetschgenbaum möglich, die Auseinandersetzung mit politischen Randgruppen sowie ein geistiges Elefantenrennen mit anderen Grössen der grossen Küche. Ein Elefant kann einfach alles. Sogar ein Selfie mit wem er immer möchte.

Hier, mit dem hunderdsten Post meines Blogs, möchte ich mich ganz herzlich bei meinen Lesern bedanken. Für ihre Nachsicht, ihre Ausdauer und ihre Treue. Also euch. Wenn ihr immer noch dazu gehört, dann habt ihr es nicht besser verdient. Aber das habt ihr sehr gut gemacht.

Elefant à la crème freut sich jetzt schon auf weitere Exkursionen, Abenteuer und Fantastereien. Und wohin die Reise als nächstes auch immer gehen wird, der Elefant wird wohl nicht nur euch damit überraschen, sondern auch sich selbst.

Vielen herzlichen Dank.

Dienstag, 10. Juni 2014

Hafencranus culinaricum



Wenn man in diesen ersten heissen Sommertagen mit einem Becher Sauerrahmglacé der Limmat entlang spaziert, kann es passieren, dass man plötzlich von einer grossen mechanischen Giraffe namens ‚Hafenkran’ beäugt wird. Eisern und stolz steht sie da, wie sie mit einem Geiferfaden, der aus dem Maul in die Tiefe taucht, einem beim Auslöffeln des Glacébechers beobachtet, ohne aber auch nur mit der Wimper zu zucken. Was für eine Disziplin!

Und auch wenn die besten Tage der Giraffe offensichtlich schon hinter ihr liegen mögen, so kann man ihr eine gewisse Eleganz durchaus nicht absprechen. Denn wer sonst würde dieses dumme Gerede über seine Daseinsberechtigung so stoisch und mit Würde ertragen?

Da ich mich als Elefant der Giraffe allein schon der Herkunft wegen seelisch verbunden fühle, bleibe ich noch etwas vor ihr stehen und kratze die letzten Reste meiner süssen Schleckerei aus dem Becher. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die letzten schon schmelzenden Reste gerne die Nähe zu meinem Bauch suchen, um als Flecken weiter das Licht der Sonne zu beeindrucken. Da kommt mir das interessierte Stehenbleiben gerade richtig.

Nachdem ich also das Sauerrahmglacé vernichtend in die Flucht geschlagen habe, fällt mir prompt wieder ein, dass ein leicht rechtsgesteuertes Komitee eine Initiative vors Volk bringen möchte, welche in Zukunft die Platzierung von eisernen Giraffen in Zürich verbieten möchte. Haben die so eine Angst vor den Giraffen, die Affen?

Da ich ja als Elefant ein enormes Gedächtnis habe, will mir in diesem Zusammenhang prompt ein Zitat einfallen, das unlängst ein Freund von mir geäussert hat: „Meinungsfreiheit wäre ja wirklich etwas Erstrebenswertes, wenn es die SVP nicht gäbe. Und da ich in der Schule mal gelernt habe, dass sich das menschliche Hirn vor allem durch die Einnahme von Eiweiss so weit entwickeln konnte, muss ich davon ausgehen, dass sich die besagte Partei offensichtlich schon seit Längerem für die vegane Lebensweise entschieden haben muss.“

Und schon stelle mir vor, wie diese Trottel gerade ein Sauersojaglacé fressen. Abartig, so was. Einfach abartig.

Mittwoch, 4. Juni 2014

Proteine

Hey, ich bin ein Gangster. Ich schiesse alle tot. Ich zeige kein Erbarmen. Und jeder Auftrag wird schnell und sauber erledigt. Rata-tata-tam! Eine Ladung Schnaps nach Downtown? Kein Problem, so lange die Kohle stimmt. Zwei Flittchen oder einen kleinen Stricher aufs Hotelzimmer? Gib mir die Kröten und du kannst so lange auf ihnen rumhüpfen, wie du willst. Ich bin ein Gangster, durch und durch. Ohne Skrupel, ohne falsche Bescheidenheit und mit dem Mut eines Löwen. Rooooooaaaawwww! Und sollte es jemanden in den Sinn kommen, mich zu bescheissen, dann warten die Betonfüsse nicht lange auf ihn und er kann sich die Fische im Hafenbecken von der ersten Reihe aus ansehen. Hast du das kapiert? Und natürlich trag ich immer einen weissen Anzug, meinen dünnen Lippenbart und die Narben im Gesicht. Ich bin das gefundene Fressen für jeden Krimi-Autor. Und der Albtraum eines jeden Cops. Genau, ich bin der Bullenschreck schlechthin. Ohne mich hätte die Polizei hier in Chicago das reinste Ferienlager. Aber ich sorg schon dafür, dass genau das nicht passieren wird. Denn ich bin ein Gangster. Und mein Job ist es, Angst und Schrecken zu verbreiten. Ich kenne weder Gnade noch Mitleid. Und wenn mir eine Trulla auf die Nerven geht, dann tausch ich sie ein. Ich lass mich nicht von blonden Locken und scharfen Kurven tyrannisieren. Und gräbt mir einmal eine ihre rot lackierten Fingernägel aus einem falschen Grund in den Rücken, dann kann sie Gott dafür danken, wenn ich sie nicht sofort erledige, sondern noch ein Weilchen für mich anschaffen lasse. Hast du das kapiert? Klar hast du das, ist ja auch nicht so schwierig, oder? Und dann noch was...hey, was zeigst du denn mit dem Finger auf mich? Hat dir Johnny nicht gesagt, dass man nie mit dem Finger auf mich zeigen soll? Hat er das nicht? Was? Ein gelber Fleck? Wo? Scheisse Mann, wie kommt denn der da drauf? Der Anzug hat mich glatte 300 Dollar gekostet und jetzt ist er ruiniert. Scheisse, Scheisse, Scheisse nochmal. Wenn ich den Kerl erwische, dann mach ich ihn kurz und klein. Ich schneid ihm die Kehle durch oder lass ihn im Säurebad strampeln. Was? Habe ich das richtig gehört? Der Kerl war ich? Weisst du denn überhaupt, was du damit gerade sagst? Weisst du, dass du mich gerade wie ein vollkommener Trottel dastehen lässt, der sein Frühstück-Ei nicht anständig essen kann? Möchtest du das tatsächlich damit ausdrücken? Komm, sag schon. Zeig, dass du Eier in den Hosen hast und wiederhol, dass ich nicht fähig oder Manns genug bin, ein Frühstücks-Ei zu essen. Sag es! Hab ich es mir doch gedacht. Du hast den Schiss in der Hose. Auch du bist nur einer von diesen kleinen Hosenscheissern, die sich nicht getrauen, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen und dafür zu sterben. Was ist das doch für ein erbärmliches Leben, das du führst. Bist nicht einmal bereit, für deine Prinzipien zu sterben. Geh mir aus den Augen! Ich ertrag deinen Anblick nicht mehr. Und ich möchte verdammt noch mal mein Frühstücks-Ei in Ruhe zu Ende essen.

Montag, 2. Juni 2014

Ein einfacher Sonntag auf dem Land



Als ich an einem regnerischen Sonntag ins innerrhodische Gonten zu einem Mittagessen eingeladen wurde, sprach nur sehr wenig dafür, dass ich an diesem Tag eine meiner kulinarischen Sternstunden erleben würde. Ein Freund wollte mich seinen Eltern vorstellen, die über Jahrzehnte ein Restaurant geführt und über die Region hinaus bekannt gemacht hatten. Da er wusste, dass ich gutes Essen zu schätzen weiss, fand er es nur angebracht, dass ich einmal deren Bekanntschaft und zugleich die Erfahrung mit ihrer Küche machen sollte. Ausserdem fand er es wohl an der Zeit, dass seine Eltern auch mal einen Elefanten bei sich in der guten Stube willkommen heissen könnten. Auch das eine Erfahrung, die man ja nicht jeden Tag macht.

Nachdem ich der Mutter meines Freundes einen Gelben Frauenschuh als Gastgeschenk überreicht und ihr damit eine unglaubliche und nicht erwartete Freude bereitet hatte, sassen wir zu viert an einem schön gedeckten Tisch in einer typischen Appenzeller Stube und tauschten freundliche Nettigkeiten aus. Dann schlich sich die Mutter, die schon in den Siebzigern war, in die Küche, um die Vorspeise vorzubereiten, während der Vater sich in den Keller begab. Draussen vor dem Fenster sahen wir die Nebelschwaden um den Kronberg tänzeln, während das Licht des trüben Tages das ansonsten so satte Grün der Wiesen beinahe blas erscheinen liess.

Doch sogleich wurde dieses fade Grün von dem leuchtenden Grün eines Kopfsalates abgelöst, der schlicht zubereitet vor mir auf den Tisch gestellt wurde. Ein Auftakt ohne Feuerwerk. Aber dennoch ein wunderbar eleganter Auftakt, weil eine Salatsauce meistens einfach eine Salatsauce ist und nur ganz selten eine Offenbarung. Dieser grüne Kopfsalat aber war wirklich eine Offenbarung.

Während die Mutter wieder in die Küche ging, kam der Vater mit einem freudigen Schmunzeln in die Stube und stellte eine Flasche Rotwein auf den Tisch... Stopp! Noch einmal.

Also: als die Mutter in die Küche ging, kam der Vater mit einem Schmunzeln in die Stube und stellte eine Flasche Château Pétrus auf den Tisch.

Glauben Sie mir, Elefäntchen hat noch selten in seinem Leben so grosse Augen gemacht und dümmlich aus der Wäsche geschaut. Wo war ich denn hier gelandet? In einem Traum? Im Schlaraffenland? Nein, es war immer noch Gonten, das da ganz unspektakulär vor den Fenstern lag. Und in diesem kleinen innerrhodischen Krachen, wo man eher einen sauren Most erwartet, stand plötzlich dieser Wein da.

In einer Fernsehserie wäre das der beste Cliffhanger, um eine Woche auf die nächste Folge der Geschichte zu warten. Doch kaum war der Wein auch in unseren Gläsern, kam die Mutter mit einem herrlichen Lammcurry mit Äpfeln und Kartoffelstock hereingeschlurft. Richtig, ein Lammcurry mit einem Bordeaux, für den Weinkenner ihre gesamte Familie verkaufen würden. Was für eine Kombination. Fantastisch. Fan-tas-tisch.

Aber damit nicht genug. Nachdem die Mutter sich dahingehend äusserte, Elefäntchen wäre beim Curry noch bereit für einen Nachschlag, entschied sich der Vater, dass dies ebenso für den Wein gelten mochte. Wie bitte? Noch eine Flasche Wein nach dem Pétrus? Das war einfach unmöglich. Denn eine zweite Flasche desselben Weines wäre einfach nur absurd gewesen. Damit durfte ich also nicht rechnen. Und ein anderer Wein würde wohl dieses Erlebnis unwürdig zur Ironie verkommen lassen. Doch da ich Gast war, behielt ich meine Bedenken für mich und dachte, dass dieser grossartige Augenblick eben einfach nur ein kleiner Glücksmoment bleiben würde.

Doch dieser Gedanke wurde gleich aufs Erstaunlichste widerlegt. Denn die nächste Flasche, die der alte Mann ganz nebensächlich auf den Tisch stellte, war ein Château Latour mit Jahrgang 1982. Das war nicht irgendein Jahrgang, sondern einer der besten überhaupt. Ich war fassungslos. Was passierte hier gerade? Konnte es sein, dass ich tatsächlich zwei Spitzenweine an einem normalen Sonntag auf dem Lande trinken würde? Konnte das wirklich sein? Offenbar konnte es das.

Wenn mich heute jemand fragt, wie denn für mich so ein einfacher Sonntag idealerweise aussieht, muss ich immer schmunzeln, mit dem Rüssel zärtlich über meine Lippen fahren und an diesen Sonntag denken. Genau so muss ein einfacher Sonntag aussehen. Selbst, wenn ich als Ausserrhödler dafür nach Innerrhoden gehen muss.